Thérèse von Lisieux - © Foto: Imago / Kharbine-Tapabor

Thérèse von Lisieux: Hell in der Finsternis

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Am 2. Jänner jährte sich der Geburtstag der Kirchenlehrerin Thérèse von Lisieux zum 150. Mal. Annäherung an eine außergewöhnliche Heilige.

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Am 2. Jänner jährte sich der Geburtstag der Kirchenlehrerin Thérèse von Lisieux zum 150. Mal. Annäherung an eine außergewöhnliche Heilige.

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Auf dem Display des Laptops ein Bild: Thérèse. Die linke Augenbraue ist eine Spur hochgezogen, ein leiser Anflug von Ironie. Eines der siebenundvierzig Porträts von Marie-Francoise-Thérèse Martin, aufgenommen am Ostermontag 1895 von ihrer Schwester Céline. Im Mai 1897, vier Monate vor Thérèses Sterben, zeigt man ihr ein neues Foto. Schön, nicht wahr? „Ja, aber“, sagte Thérèse, „das ist der Umschlag; wann wird man den Brief sehen? Oh wie gerne möchte ich den Brief sehen!“ Als hätte sie den Satz des evangelischen Theologen Fulbert Steffensky gekannt: „Heilige sind Briefe aus der Ferne, die einem helfen, die Gegenwart zu lesen und zu erkennen, was sie hat und was ihr fehlt.“

Thérèse von Lisieux hatte Witz, Intelligenz und eine gesunde Prise Lust am Widerspruch. Eine ihrer Lieblingswendungen zeitlebens war Oui mais, „Ja aber…“. Frömmigkeit hatte sie auf ihre ganz persönliche und im höchsten Maße angefochtene Art.

Aus der ersten Reihe der Theologen nach dem II. Vaticanum hat Karl Rahner recht unverblümt verlauten lassen, dass ihm vieles an dieser Heiligen und ihren Schriften „widerwärtig“ sei, oder es habe ihn einfach gelangweilt. Mit Respekt spricht Rahner allerdings von ihrem Sterben. Hans Urs von Balthasar sieht in der „kleinen Therese“ eine „große Heilige für unsere Zeit“.

„Heilmittel der Barmherzigkeit“

Die Bibliothek der Thérèse ist schmal. Was auf dem kleinen Tisch einer Zelle eben Platz findet: ein Neues Testament, Thomas von Kempens „Nachfolge Christi“, die Schriften des Johannes vom Kreuz. Bücher waren nicht die Sache der jüngsten Kirchenlehrerin der römisch-katholischen Kirche. „Ich finde nichts mehr in den Büchern, das Evangelium genügt mir... O, wie würde ich mich ärgern, hätte ich all diese Bücher gelesen!“

Aber sie hat gerne geschrieben, nicht nur ihre Autobiografie sondern auch kleine Theaterstücke, in denen sie dann die Hauptrolle spielte. Und Gedichte. Ihre poetischen Bilder über die Morgenröte und über den Frühling haben wahrscheinlich sechzig Jahre später ihren Verehrer Johannes XXIII. inspiriert, der diese Begriffe signalhaft in seiner Rede zur Konzilseröffnung verwendete. Ganz im Geist von Thérèses „Lehre“ ist in dieser Rede ja auch der Satz, dass der Kirche „das Heilmittel der Barmherzigkeit“ besser anstehe „als die Waffen der Strenge“.

Der tschechische Theologe Tomáš Halík begrüßte 1997 – hundert Jahre nach Thérèses Tod – ihre Erhebung zur Kirchenlehrerin. Eine ihrer Lehren ist die Erfahrung der Gottesferne. Während der letzten zwei Jahre ihres Lebens irrt sie oft monatelang durch die Wüste der inneren Trockenheit, bis ihr nur mehr der Platz am Tisch mit den Nichtglaubenden bleibt, oft findet sie sich in einer erschreckenden Gedankennähe zur Blasphemie: „O, wenn Sie wüssten, was für abscheuliche Gedanken mich dauernd bedrängen, das Räsonieren der schlimmsten Materialisten zwingt sich mir ... Ich glaube nicht mehr an das ewige Leben – alles ist verschwunden, es bleibt nur mehr die Liebe.“ Sie steht vor einer „bis zum Himmel ragenden Mauer“ oder in einem dunklen Tunnel, von dem sie nicht weiß, ob er am Ende ins Licht führt.

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