Wo Gott Weichen stellt

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Psalmen und Bungee-Jumping: Auf der Kurzbibelschule Schloss Klaus sind junge Menschen dem Glauben auf der Spur. Doch das Schriftverständnis, das sie hier erwerben, ist umstritten.

Hier oben, wo der Fernblick die beklemmende Enge des Tales rasch vergessen lässt, wo der Lärm der Transitkarawanen nur als leises Rauschen zu hören ist und der Stausee schimmert - hier oben auf Schloss Klaus soll es geschehen, dass Gott Weichen stellt. Das hoffen zumindest all jene evangelischen Pfarrerinnen und Pfarrer, die Jahr für Jahr rund 800 Konfirmanden - ein Drittel aller österreichischen Kandidaten - hierher zu "Freizeiten" schicken. Und das hoffen auch jene 40 jungen Erwachsenen aus Deutschland und Österreich, die sich eine halbjährige Auszeit genommen haben, um hier im Rahmen der Kurzbibelschule ihrem Leben und Glauben auf den Grund zu gehen.

Aktionismus und Pietismus

30 Evangelische, drei Katholiken und sechs Angehöriger einer Freikirche haben heuer den weiten Weg in das oberösterreichische Steyrtal gefunden, um gleichzeitig mit der Bibel- auch eine Lebens-, Glaubens- und Beziehungsschule zu durchlaufen. Dass der Großteil von ihnen aus Baden-Württemberg stammt, ist kein Zufall: Es gilt als Kernland des Pietismus, jener protestantischen Frömmigkeitsbewegung des 18. Jahrhunderts, in deren Zentrum ein an der Bibel orientiertes, um Heiligung bemühtes Leben steht.

Auf Schloss Klaus erwarten die 40 Ambitionierten neben Bibelunterricht und der täglichen "Stillen Zeit" auch persönliche Evangelisation und praktische Gemeindeeinsätze. Nicht zuletzt sollen Abseilübungen, Höhlenwanderungen und Bungee-Sprünge von der Staumauer ihnen helfen, den Weg zur Mitte des Lebens zu finden: Jesus Christus.

Über mangelndes Interesse an diesen Formen der Glaubensübung kann sich Lutz Kettwig, Direktor von Schloss Klaus, nicht beklagen: "Die Bibelschule ist ausgebucht", freut er sich gegenüber der Furche. Erst 1963 hatte Kettwigs Vorgänger, Peter Wiegand, das verwahrloste Schloss aus dem 16. Jahrhundert als Heimstatt für die "Missionsgemeinschaft der Fackelträger" auserkoren und gepachtet. Klaus ist damit neben dem Tauernhof in Schladming das zweite Zentrum dieser weltweit organisierten und missionarisch tätigen Gemeinschaft, die 1947 in England von Major W. Ian Thomas gegründet wurde und in Österreich als evangelisch-kirchlicher Verein anerkannt ist. Heute bietet Schloss Klaus als "internationales christliches Jugendzentrum und Bildunghaus" 158 Gästen Platz. Die Angebotspalette reicht von der Teenager-Woche über das Partner-Seminar bis zum Pfingst-Event. Und der Zuspruch steigt. "Mit 25.000 Übernachtungen pro Jahr haben wir die Kapazitätsgrenze erreicht", so Kettwig.

Herzstück des Angebots ist die als überkonfessionell verstandene Bibelschule - zumal im "Jahr der Bibel" 2003. So sollen die Schüler im Rahmen einer ökumenischen Initiative Einkehrtage an Schulen halten, um den Jugendlichen einen Zugang zur Heiligen Schrift zu ermöglichen. Auch eine Bibelausstellung und eine Glaubenswoche in der Region sind geplant.

Welches Verständnis haben aber die "Fackelträger" selbst von der Bibel? Tatsache ist, dass die "Biblischen Grundlinien" im Rahmen der Kurzbibelschule nicht von akademisch ausgebildeten Theologinnen und Theologen gedeutet werden, sondern von theologischen Laien. "Wir arbeiten nicht theologisch mit der Pinzette und mit dem Messer, sondern wir lesen die Bibel so, wie sie uns übermittelt wurde", erklärt der Leiter der Bibelschule, Daniel Schulte. Von der historisch-kritischen Bibelauslegung, wie sie an staatlichen theologischen Fakultäten gelehrt wird, distanziere man sich - "falls es sie überhaupt gibt". Man habe keinen Grund, der Bibel Misstrauen entgegenzubringen. Vielmehr sei sie "komplett von Gott inspiriert" und deshalb maßgeblich für die Lebensführung.

Dieses Schriftverständnis der Fackelträger, die sich selbst nicht als "evangelikal" betrachten, sondern unter dem "Dach der evangelischen Kirche" beheimatet sehen, stößt bei der Kirchenleitung auf Unverständnis: "Das entspricht meiner Meinung nach nicht dem, was wir das reformatorische Schriftverständnis nennen", erklärt Michael Bünker, evangelischer Oberkirchenrat, gegenüber der Furche. So habe etwa der Theologische Ausschuss der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich anlässlich der Debatten um die Segnung homosexueller Partnerschaften 1998 in einer Erklärung festgestellt, "dass alle Einzelaussagen der Heiligen Schrift immer im Lichte des biblischen Gesamtzeugnisses gelesen" werden müssten.

Bibel: kein historisches Buch

Auch die Leiterin der Österreichischen Bibelgesellschaft, Jutta Henner, betrachtet die grundsätzliche Ablehnung der historisch-kritischen Methode mit Skepsis. Die Bibel dürfe nicht als rein historisches Buch missverstanden werden, stellt sie gegenüber der Furche fest: "Wir müssen immer fragen: Was ist zeitbedingt? Und wo müssen wir Aktualisierungen finden? Gerade in der Bibel gibt es eine Hierarchie der Wahrheiten. An ihrer Mitte, Jesus Christus, ist nicht zu rütteln. Nebenaussagen müssen jedoch immer wieder neu kritisch reflektiert werden." Bei der Auslegung der Schrift sei jedenfalls vor jeder Form des Schematismus zu warnen, der in dem Satz "Wenn du etwas in der Bibel nicht verstehst, dann glaubst du zu wenig" gipfeln könnte, betont Henner: "Wir werden nie alles in der Bibel bis ins Letzte verstehen, aber wir glauben auch an einen je größeren Gott."

Einer, der sich unter anderem wegen unterschiedlicher Zugänge zur Heiligen Schrift von Schloss Klaus verabschiedet hat, ist Dietrich Bodenstein. Von 1985 bis 1996 hat er als Gründer und Leiter des Leonhard-Kaiser-Seminars, einer Gemeindemitarbeiterschule der evangelischen Kirche, an der Kurzbibelschule unterrichtet: "Ich habe auf behutsame Weise versucht, Recht und Grenzen der historisch-kritischen Bibelauslegung verständlich zu machen", erklärt der Theologe, der seine Ausbildung nicht an einer Bibelschule erhielt, sondern an den Universitäten Heidelberg, Tübingen und Wien. "Aber wenn es hart auf hart kommt, ist die Bibel Wort für Wort von Gott inspiriert und daher irrtumslos." Dessen ungeachtet habe er Schloss Klaus als "sehr dynamische und missionarisch engagierte Gemeinschaft" erlebt, so Bodenstein. Charakteristika, die heute in der Volkskirche immer seltener anzutreffen seien. Aus diesem Manko erwachse auch die Attraktivität von Gruppen wie der "Missionsgemeinschaft der Fackelträger": "Eine Kirche, die sich mit ihrer Kirchlichkeit begnügt, ist eben für viele Menschen nicht mehr attraktiv."

In dieselbe Kerbe schlägt Klaus Schacht, Fachinspektor für evangelischen Religionsunterricht an Pflichtschulen in Oberösterreich, bei seinem Urteil über Schloss Klaus: "Man begnügt sich nicht zu warten, bis die Leute kommen, sondern man geht ihnen nach." Andererseits sei in pietistischen oder freikirchlichen Gruppen vor "moralischer Bevormundung und Bekehrungsdruck" zu warnen, so Schacht. Eine Gefahr, die Lutz Kettwig auf Schloss Klaus nicht erkennen kann: "Wir sprechen nur eine Einladung aus." Eines sei dennoch für die Fackelträger klar: "Was mich zum Christen macht ist nicht die Taufe, sondern dass ich erlebe, dass Christus mein Leben verändert."

Dass Glaube mehr sein muss als "ein Gedanke am Schreibtisch", nämlich Erfahrung und wirkliches Leben, ist auch für Michael Bünker unbestritten. Besonders wichtig sei dies in der Konfirmandenarbeit, ist er sich bewusst. "Es hat sich leider noch nicht herumgesprochen, dass Konfirmandenarbeit eher von der Erlebnis- und Freizeitpädagogik her aufgezogen werden müsste." Dennoch gebe es keine Empfehlung der Kirchenleitung, junge Christen nach Klaus zu schicken: "Konfirmandenarbeit gehört in die Gemeinden", so Bünker.

Überhaupt hat er mit der Koppelung von Glaubens- und körperlichen Grenzerfahrungen, wie es teilweise auf Schloss Klaus und verstärkt am Tauernhof praktiziert wird, wenig am Hut: "Ich will nicht leugnen, dass man durch eine Abseilübung erfährt, was Vertrauen heißt", meint Bünker. Damit verheißen zu wollen, dass gläubige Menschen jung, gesund und erfolgreich seien, hält er aber für fatal: "Das ist amerikanischer Kulturexport, aber nicht biblische Botschaft."

Informationen unter www.schlossklaus.at

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