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Alle beteiligen sich an den Zahlungen

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Die Kinderbeihilfen sind eines der sich erfreulich häufenden Dokumente horizontaler Solidarität. Die Finanzierung erfolgt aus Mitteln der Gesellschaft. Die Auszahlung nehmen im allgemeinen die Arbeitgeber und Pensionsanstalten zu Lasten der Finanzämter oder diese unmittelbar vor, wenn es, wie bei Selbständigen, keinen Arbeitgeber gibt. Die Finanzämter verrechnen ihre Leistungen mit dem vom Finanzministerium verwalteten

Ausgleichsfonds (nach dem ersten Weltkrieg: Industrielle Bezirkskommissionen). Die Speisung dieses Fonds erfolgt hauptsächlich aus Beiträgen der Arbeitgeber nach der von ihnen je Monat ausgezahlten jeweiligen Bruttolohnsumme. Die Beitragszahlungen der Arbeitgeber haben den Charakter von Betriebsausgaben und sind daher steuerlich absetzbar. Darüber hinaus werden die Zahlungen auf die Preise der produzierten Leistungen fortgewälzt. Auf diese Weise tragen alle Konsumenten durch entsprechende Mehrzahlung und alle Österreicher durch eine höhere Steuerleistung zur Finanzierung der Kinderbeihilfe bei. Im Fonds ist daher ein weitgehend aus dem Bereich der Gesellschaft stammendes und als durchlaufend zu betrachtendes Vermögen angesammelt, eine Art von gesellschaftlichem Stiftungsvermögen, das derzeit rechnerisch leider noch in zwei Fonds (für Selbständige und für „andere“) aufgegliedert ist.

Ungleich nachgezogen

Zum Unterschied von anderen Ländern (BRD) werden in Österreich die Kinderbeihilfen schon vom ersten Kind an gegeben, gleichgültig, wie hoch das Einkommen des Kindeserhalters ist. Mit der Zahl der Kinder steigen die Kinderbeihilfen bis zum fünften Kind stufenförmig an. Seit der ersten Auszahlung von Kinderbeihilfen wurde diese mehrmals konform der Kaufverminderung nachgezogen. Dieses Nachziehen war jedoch nicht gleichförmig, weder was die Kaufkraftänderungen noch was das Verhältnis von Kind zu Kind betrifft. Nach einem instruktiven Artikel Doktor D. Kuhns, „Ehe und Familie“ Nachrichtendienst des Katholischen Familienverbandes 2/1965), beträgt seit 1955 die relative Steigerung der Kinderbeihilfen für das erste Kind 30,2 Prozent, am meisten für das dritte Kind, 44,9 Prozent, und am wenigsten für das fünfte und jedes weitere Kind (18,5 Prozent). Die Kinderermäßigungen im Sinne der Bestimmungen des Einkommensteuerrechtes, die ähnliche Wirk-

1 Über die juristischen Grundlagen vergleiche Hans Schmitz, „Familienlastenausgleich in Österreich“, Wien, 1965.

samkeit haben sollen wie die Kinderbeihilfen, sind seit 1945 nur bescheiden nachgezogen worden und zum Teil sogar bis auf 20 Prozent ihres seinerzeitigen Wertes abgesunken.

Die Höhe der für ein Kind gezahlten Kinderbeihilfen bleibt vom Alter des einzelnen Kindes unabhängig. Die Kinderbeihilfen sind vom ersten bis zum letzten Anspruchsjahr gleich groß, von generellen Erhöhungen abgesehen. Ein Zusammenhang mit dem (dynamischen) Bedarf, der doch anteilig abgegolten werden soll, besteht nicht.

Neben der Kinderbeihilfe wird seit einiger Zeit vom zweiten Kind an auch eine Mütterbeihilfe in zwei Beihilfestufen bezahlt, eine Art Taschengeld für die Mutter.

Reformbedürftig!

Eine Zahlung von Kinderbeihilfe, eine Rücksichtnahme der Gesellschaft auf die besondere Belastung der Eltern, ist der Ausdruck eines eminenten sozialen Fortschritts, an den wir uns leider schon wieder gewöhnt haben, obwohl doch fortgesetzte Dankbarkeit eine typisch menschliche Eigenschaft sein sollte. Die so arg romantisch verzeichnete „gute“ alte Zeit hatte für die sogenannte „Kindernot“ lediglich das

Instrument der Almosenhergabe zur Verfügung oder schuf Kinderkasernen, dl« zu härtester Fronarbeit der Kinder erhalten wurden. Die gegenwärtige Gesellschaft hat dagegen den an „dunkelstes“ Mittelalter erinnernden Versuch unternommen, die Lasten des Kindererhalts Im Sinn eines globalen sozialen Aus-gleichverfahrens angemessen — wenn auch noch nicht ausreichend — auf alle Staatsbürger umzulegen.

Trotzdem Ist die bisherige Form der Kinderbeihilfen reformbedürftig. Es geht freilich nicht mehr um die Kinderbeihilfe an sich, sondern lediglich um ihre „Dynamisierung“, besser um ihre fortlaufende und sinnvolle Anpassung an jenen Bedarf, zu dessen teilweiser Deckung sie ursprünglich eingerichtet worden ist.

Der Bedarf, auf den die Kinderbeihilfe bezogen ist, hat den Charakter eines Elementarbedarfs. Nun sind aber der gesellschaftlich als unabweisbar erkannte Bedarf eines Kleinkindes und jener, den etwa ein 24jähriger Hochschüler hat, keineswegs gleich groß. Die Kinderbeihilfe ist dagegen, ob es sich um ein Wickelkind oder um einen wahlberechtigten Jungmann handelt, gleich hoch. Daher steigt der Kostenselbstbehalt der Eltern mit dem Alter des Kindes.

In manchen Ländern, etwa in den Niederlanden und nunmehr ab dem zweiten Kind auch in der BRD, wird den Eltern, falls ihre Kinder nach einem bestimmten Lebensjahr (zum Beispiel dem 15.) noch ein weiterführendes Studium absolvieren, eine Ausbildungsbeihtlfe gewährt, in Ausnahmefällen auch für Kinder, die sich im Rahmen eines anerkannten Lehr- oder Anlernverhältnisses ausbilden lassen. Eine Einkommensgrenze gibt es nicht. Freilich dürfen wir nicht in österreichischer Fremdenseligkeit übersehen, daß etwa in der BRD, die Leistungen für die Versorgung der Kinder (beiderseits Ausbildungs-beziehungsweise Mutterbeihilfe eingeschlossen) noch immer geringer sind als in Österreich. Bei drei Kindern ist der Unterschied am größten.

Die bestraften Studenteneltern

Ein zweites Problem ist die

Altersgrenze, bis zu der gegenwärtig Kinderbeihilfen gezahlt werden. In einzelnen Ländern, zu denen auch Österreich gehört, wird die Kinderbeihilfe derzeit bis zu einem Alter gewährt, in dem die Studierenden einen normalen Studienverlauf noch nicht absolviert haben können. Zumindest haben sie nicht das Doktorat, dessen Vorwels in unserem Vaterland bedauerlicherweise auch dort erforderlich ist, wo es sich nur um die Ausübung einer wissenschaftlichen Praxis und nicht um wissenschaftliche Betätigung als solche handelt Die Verlängerung der Studiendauer an den Höheren Lehranstalten (zur Zeit noch Mittelschulen genannt) vorläufig um ein Jahr, das Pflichtjahr für Maturanten beim Bundesheer und die praktische Dauer des Studiums an den wissenschaftlichen Hochschulen haben jedenfalls dazu geführt, daß heute viele Studenten normal erst mit dem 27. oder 28. Lebensjahr ihre Studien beenden können und bis dahin weltgehend, wenn nicht ausschließlich, von den Eltern versorgt werden müssen.

Als Folge des bereits anachronistischen Höchstalters für den Anspruch auf Kinderbeihilfen müssen die Eltern die Versorgung ihrer Kinder, die doch auch im Interesse der Gesellschaft ihr Studium absolvieren, allein tragen. Die Stipen-dierung des Studiums an den Hochschulen, die eine Ergänzungshilfe bieten könnte, hat dagegen durch die engen Einkommensgrenzen, die vor allem die Unselbständigen treffen, teilweise zu einer sozialen Diskriminierung geführt, die besonders hart ist, wenn es sich um ältere Studenten handelt, die ein gesellschaftlich wichtiges Studium absolvieren, wie zum Beispiel die Ingenieure und die Ärzte.

Aus den geschilderten Gründen wäre es daher angezeigt, das Höchstalter für Kinderbeihilfen vorläufig um ein Jahr, zumindest für jene, die ihren Wehrdienst absolviert haben, als eine Art Gratifikation, hinaufzusetzen. Derzeit wird ein Student, der sich vom Wehrdienst befreien lassen konnte, doppelt begünstigt, erstens durch die frühere Beendigung seines Studiums und zweitens, weil unter Umständen seine Eltern bis zum Studienende Kinderbeihilfen erhalten haben. Es wäre Sache des Landesverteidigungsministeriums, diesen Sachverhalt einmal aufzugreifen, wenn er schon die Sozialpolitiker nicht interessiert.

Die neunjährige Studiendauer an den Höheren Schulen ist bei den technischen Höheren Lehranstalten schon seit den sogenannten Ischler Beschlüssen, das heißt seit weit über einem Jahrzehnt, wirksam, bei den Handelsakademien ab 1968, dagegen bei den allgemeinen Höheren Schulen erst zu einem späteren Zeitpunkt. Weil nun einige Höhere Schulen bereits neun Studienjahre haben, wäre es angezeigt, schon jetzt das Anspruchsalter der Kinderbeihilfen um ein zweites Jahr, auf das 27. Lebensjahr, zu verlängern.

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