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Aufbau und Leistung

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So wie die österreichische Wirtschaft nach der Zerschlagung der Donaumonarchie infolge der Abtrennung wichtiger Gebiete vor bedeutende Probleme gestellt wurde, mußte sich auch die tirolische Wirtschaft zum gleichen Zeitpunkt wegen der Lostrennung des südlichen Landesteiles mit den Fragen der wirtschaftlichen Neuordnung befassen, wurde doch für Nord-und Osttirol durch diese Grenzziehung eine unnatürliche wirtschaftsgeographische Situation geschaffen.

Die Wirtschaft Tirols bewies seither einen Aufbau- und Leistungswillen, der ein Symbol der bürgerlichen Stärke dieses Volkes und seiner Unternehmerschaft ist. Sie hat sich als widerstandsfähig gegenüber bittersten Schicksalsschlägen erwiesen und mit neuem Mut, wie schon so oft in der Geschichte Tirols, mit dem Wiederaufbau der gewerblichen Wirtschaft begonnen sowie diesen erfolgreich weitergeführt.

Einen wichtigen Beitrag in diesem Aufbauwerk leistete die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Tirol, kurz auch Tiroler Handelskammer bezeichnet, die von den Wirtschafttreibenden als wirksame Standesvertretung geschaffen wurde. Die Stellung der Wirtschaft im Lande geht dabei aus folgenden Zahlen hervor:

Zu Beginn des Jahres 1960 verzeichnete die Tiroler Handelskammer 20.574 Kammermitglieder. Da viele Wirtschafttreibende mehrere Berufssparten ausüben, liegt die Zahl der Fachgruppenmitglieder mit 30.560 wesentlich höher. Hier dominiert die Sektion Gewerbe mit 9659 Mitgliedern, gefolgt von der Sektion Handel mit 12.391 Mitgliedern, der Sektion Fremdenverkehr mit 5430 Mitgliedern, der Sektion Verkehr mit 1930 Mitgliedern, der Sektion Industrie mit 873 Mitgliedern und der Sektion Geld-, Kredit- und Versicherungswesen mit 277 Mitgliedern.

Da das Bundesland Tirol 450.000 Einwohner umfaßt, ist jeder 21. Einwohner als Gewerbetreibender Mitglied der Tiroler Handelskammer. Die gewerbliche Wirtschaft ist damit der dominierende Faktor der Tiroler Volkswirtschaft. Dies sowohl beschäftigungsmäßig wie auch in der Produktion volkswirtschaftlicher Werte. Die gewerbliche Wirtschaft hat mehr als 90.000 Mitarbeiter, zusammen mit den Familienangehörigen sind es mehr als 140.000. Rechnet man nun die Familien dazu, so bestreiten rund 280.000 bis 300.000 Personen in Tirol ihren Lebensunterhalt von der Leistung der gewerblichen Wirtschaft.

Aus dieser Tatsache läßt sich die gewaltige Umstellung im volkswirtschaftlichen Prozeß des Landes erkennen, das vor 1914 noch ein Land mit vorwiegend agrarischem Charakter war, nunmehr aber ein Land mit einer bedeutenden Industrie, einem starken Handel, einem breitgestreuten Gewerbestand und dem enorm aufgeblühten Fremdenverkehrsgewerbe darstellt.

Dieser Aufstieg der Wirtschaft wurde in zielbewußter Zusammenarbeit der Unternehmerschaft mit der Handelskammer erreicht, zum Vorteil des gesamten Landes. So bildet vor allem das Tiroler Gewerbe, aber auch die Industrie Lehrlinge aus. Nutznießer sind die öffentlichen Betriebe, die diese Kräfte sehr stark aufsaugen:

Die gewerbliche Wirtschaft verfügt über ein von den Funktionären der Handelskammer gestaltetes modernes Berufsschulwesen, das mit dem neu geschaffenen Internatstyp für ganz Österreich vorbildlich ist. Für das Gewerbe wurden zahlreiche Fachschulen errichtet, für die Fremdenverkehrswirtschaft eine Landesgastwirteschule und eine Landesberufsschule für das Gastgewerbe, für den Handel ebenfalls verbesserte Berufsschulen. Die Handelskammer fördert die schulische Ausbildung durch große Subventionen und baut jetzt ein neues Wirtschaftsförderungs-institut mit einem Aufwand von rund 15 Millionen Schilling. Damit wird ein Vorgriff auf die notwendige Leistungsverbesserung in der Entwicklung zum europäischen Markt geleistet.

Die Leistungskraft der Tiroler Wirtschaft sowie der Aufbauerfolg seit 1945 geht am besten aus den Produktionszahlen hervor. Die Industrie produzierte im Jahre 1959 Waren im Gesamtwert von 4,5 Milliarden Schilling, das Gewerbe im Werte von 2,5 Milliarden Schilling. Der Fremdenverkehr erbrachte mit seiner Dienstleistung 2,5 Milliarden Schilling, der Verkehr 400 Millionen Schilling. Das ergibt eine Produktionsleistung von 9,9 Milliarden Schilling oder rund 23.000 Schilling pro Kopf der Bevölkerung. Der Export der Tiroler Wirtschaft erreichte im vergangenen Jahr bei der Industrie 1,1 Milliarden Schilling, beim Handel 400 Millionen Schilling, beim Gewerbe 100 Millionen Schilling. Zusammen mit dem Devisenertrag aus der Dienstleistung des Fremdenverkehrs ergibt dies einen Gesamtexport von 3,7 Milliarden Schilling. Das ist eine Exportleistung von 8600 Schilling pro Kopf der Bevölkerung.

Die gewerbliche Wirtschaft Tirols hat also seit 1945 einen beachtlichen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes und zum Wohlstand des Volkes geleistet. Produktionsmäßig ist heute die gewerbliche Wirtschaft in Tirol zu 48 Prozent beteiligt, die Land- und Forstwirtschaft zu 26 Prozent, die Verhältnisse haben sich seit 50 Jahren geradezu umgekehrt. Tirol ist in dieser Zeitspanne ein Land mit starken Wirtschaftszweigen in Industrie, Handel und Gewerbe, besonders aber im Fremdenverkehr geworden. Letzterer befruchtet das gesamte Volk und trägt wesentlich zur Verbreiterung eines gehobenen Lebensstandards bis in die kleinsten Täler hinaus bei.

In der unmittelbaren Nachbarschaft starker Industrieländer mit einer leistungsfähigen Wirtschaft gelegen, ist das Leitmotiv der Zukunft für die gewerbliche Wirtschaft die Leistungssteigerung in allen Bereichen der Produktion und Dienstleistung. Für die Wirtschaft gibt es kein Rasten, das erfreuliche Konjunkturergebnis ist die Grundlage für die Erarbeitung weiterer Erfolge zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit am großeuropäischen Markt. Denn nur dadurch ist der Weiterbestand des Wohlstandes im Tiroler Volk zu erreichen. In diesem Sinne ist auch die Funktionärsschicht der Tiroler Handelskammer tätig.

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