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Wien — Weltstadt der Mitte

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Unsere Zeit ist es gewohnt, das moderne Massenphänomen des Fremdenverkehrs ausschließlich unter dem Blickwinkel kommerzieller Erwägungen zu betrachten. Auch der Wiener sieht im Tourismus vielfach das „Es-lein streck dich“ des 20. Jahrhunderts und assoziiert ihn mit Deviseneinnahmen und Trinkgeldern. Ich wehre mich jedoch seit eh und je dagegen, daß man die Bedeutung des Reiseverkehrs nach Wien auf den nationalökonomischen Wert reduziert. Zwar ist dieser nicht gering. Nach vorsichtigen Schätzungen beträgt der Devisenerlös aus dem vorjährigen Wiener Fremdenverkehr 1,6 Milliarden Schilling. Uberhaupt kann sich die Fremdenverkehrsstatistik der Bundeshauptstadt sehen lassen. Brachte doch die Saison 1963/64 einen noch nie verzeichneten Besucherrekord von mehr als einer Million Gäste, von denen 70 Prozent aus dem Ausland kamen. Die Beherbergungsbetriebe verzeichneten 3,040.000 Nächtigungen. Damit haben die Besucherzahlen gegenüber der vorangegangenen Saison um 12 Prozent, die Nächtigungsziffer um 8,5 Prozent zugenommen, während der Zuwachs im Bundesdurchschnitt 5,5 Prozent betrug. Dabei sind in Wien die Privatquartiere nicht erfaßt. Bedenkt man, daß jeder vierte Österreicher im Raum Wien wohnt, läßt sich ermessen, wie viele Besucher aus den Bundesländern alljährlich bei ihren Verwandten in Wien zu Gast sind, ohne in einer Statistik zu erscheinen.

Aber die eigentliche Bedeutung des Wiener Fremdenverkehrs ist nicht in Zahlen auszudrücken. Die geradezu atemberaubende Ausweitung des Reiseverkehrs aus unseren östlichen Nachbarländern nach Wien etwa läßt die welthistorische Sendung unserer Donaustadt als Fenster des Ostens zum Westen hin erahnen. Auf Grund seines politischen Status, seiner geographischen Lage und seiner geschichtlichen Tradition, aber auch wegen des eher irenischen, mehr zum Kompromiß als zur harten Alternative neigenden österreichischen Volkscharakters kommt Wien eine Mittlerrolle zu, die dem Frieden unserer gequälten Welt sehr dienlich sein kann. Aus denselben Gründen gewinnt Wien auch immer größere Bedeutung als Kongreßstadt. Die 51.000 Experten aus aller Welt, die etwa im vergangenen Jahr anläßlich der 171 internationalen Tagungen, die in Wien abgehalten wurden, hierher kamen, haben ein weit größeres Gewicht, als Ihrer „Nächtigungsziffer“ entspricht.

Damit komme ich zu dem, was mir der zentrale Gesichtspunkt des Wiener Fremdenverkehrs zu sein scheint. Man kann, ohne die Rolle der anderen Bundesländer abwerten zu wollen, von einer Repräsentanz Wiens für ganz Österreich sprechen. Auch in jenen Teilen der Welt, wo man „Austria“ mit „Australia“ verwechselt, ist „Vienna“ ein vertrauter Begriff, mit dem man beste abendländische Kulturtradition assoziiert. Dies ist eine hohe Auszeichnung für Wien, aber auch eine gewaltige Verpflichtung. Ihr gerecht zu werden, bedarf es weit mehr als der üblichen Förderungsmaßnahmen, die in Wien mit seinem vorbildlichen Fremdenverkehrsgesetz, seiner Fremdenverkehrsstelle oder seinen bedeutsamen Kreditaktionen für Hotel- und Gastgewerbe natürlich auch wahrnimmt.

Die Repräsentanz der Bundeshauptstadt für unser ganzes Land verpflichtet die Wiener Stadtverwaltung zu einer Kulturarbeit, deren Umfang hier kaum angedeutet werden kann. Denken wir, um einiges zu nennen, an die Wiener Festwochen, die Europagespräche, die Stadtbild- und Denkmalpflege, die Erhaltung und Erweiterung unserer Museen und Sammlungen, die Förderung des Sommerprogramms in Theatern und Konzertsälen oder an die Wiederherstellung des Theaters an der Wien und der Wiener Secession. Auch all das, was für unsere Grünanlagen oder Verkehrsbauten, für die Assanierung häßlicher und die Konservierung erhaltungswürdiger alter Stadtteile geschieht, dient dazu, Wien für alle Besucher anziehender und liebenswürdiger zu machen.

Freilich muß alles Auswendige begleitet sein von jenen zwischenmenschlichen Kontakten, die oft entscheidendere Eindrücke hinterlassen als alles andere. Und da dürfen wir auf unsere Wiener vertrauen, daß sie ihrem weltweiten Ruf als liebenswürdige Gastgeber auch weiterhin Ehre machen werden.

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