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Am 1. Jänner 1970 soll ein neues Bundlesstraßengesetz in Kraft treten. Damit will man die Voraussetzungen für einen beschleunigten, wirtschaftlicheren und vor allem verkehrswirksameren Straßenbau in Österreich schaffen.

Noch in dieser Woche wird der Gesetzesentwurf, der bis 15. September fertiggestellt sein soll, den letzten Schliff erhalten, um dann in ein abgekürztes Begutachtungsverfahren zu gehen.

Das Interesse der Öffentlichkeit erklärt sich aus der Tatsache, daß die Verkehrsteilnehmer über die Bundes-mineralölsteuer Jahr für Jahr gewaltige, ständig steigende Mittel aufbringen, dennoch aber das Duell zwischen Motorisierungswelle und Straßenbau von letzterem bisher nicht gewonnen werden konnte. Allein im heurigen Jahr stehen dem Straßenbau aus dem Erlös der Bun-desmineralölsteuer mehr als 5 Milliarden Schilling zur Verfügung, dennoch bricht der Verkehr an zahllosen neuralgischen Punkten im gesamten Bundesgebiet immer wieder zusammen.

Neubewertung in der Zielgeraden

Der Zersplitterung des Straßenbaues, dem Hauptübel für die Leistungsschwächen des Straßennetzes, begann man bereits im Jahre 1967 mit vielschichtigen Untersuchungen zu Leibe zu rücken. Auf der Suche nach neuen Wertkriterien entstand damals die auch im Ausland vielbeachtete Neubewertung des Bundesstraßennetzes, die sich aus einer Kette wissenschaftlicher Arbeiten zusammensetzte. Untersucht wurde beispielsweise die Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2000 und die daraus resultierenden Erwartungen des künftigen Verkehrsgeschehens. Die Einflüsse des Fremdenverkehrs, des internationalen Transitverkehrs, die Transportbedürfnisse der Wirtschaft, die Ausflugsgewohnheiten der Städter und Millionen weiterer verkehrsbedeutsamer Daten wurden von den Naubewertern gesa'mmelt und in ein Ordnungssystem für den künftigen Straßenbau gebracht. Die Krönung der Neubewertung sollte ein neues Bundesstraßengesetz sein, das die erkenntnisgerechten, gesetzlichen Voraussetzungen für einen modernen und hochleistungsfähigen Straßenbau schaffen sollte. Ein zweiteiliges Gesetzeswerk, dessen Erstentwurf bereits vor mehr als einem Jahr am 28. Juli 1969 (!) in die Begutachtung ging, sollte die Straßenkategorien und die Voraussetzungen für einen modernen Straßenbau normieren, wobei in einem Straßenverzeichnis die Zuordnung der «inzelnen Strecken zu diesen Kategorien erfolgen sollte. Der erste Entwurf ging u. a. von der Erkenntnis aus, daß die simple Zweiteilung in Autobahnen und Bundesstraßen nicht mehr den Anforderungen entspricht. Daher sah man damals eine Einteilung in vier Typen vor. Danach sollte künftig zwischen Autobahnen, Schnellstraßen und Bundesstraßen I. sowie II. Kategorie unterschieden werden. Neben dem Ziel, endlich zu einheitlichen Ausbaugrundsätzen für die einzelnen Typen zu kommen, hatte diese Einteilung auch den Sinn, den Bund von finanziellen Lasten für Straßen untergeordneter Bedeutung zu befreien. Für die Bundesstraßen II. Kategorie, also für Straßen mit vorwiegend Nahverkehrsfunktionen, war nämlich eine finanzielle Beteiligung der Länder bzw. Gemeinden vorgesehen.

Gerade dagegen liefen Länder und Gemeinden Sturm. Denn man stellt selbstverständlich gern Forderungen an den Bund, Verkehrswege möglichst optimal und ohne Rücksicht auf Kosten auszubauen, von einer finanziellen Beteiligung will man hingegen nichts wissen. Mit dem fortschreitenden Bau zusätzlicher Schnellstraßen und großräumiger Umfahrungen gewinnt die Frage an Bedeutung, was mit den alten Straßenzügen geschehen soll. Nur selten sind Länder und Gemeinden nämlich geneigt, diese Uberreste in den eigenen Betreuungsbereich zu übernehmen. So hat dann der Bund, dicht beisa'mmen, gleich zwei Straßen zu erhalten und zu betreuen. Ein schönes Beispiel ist die autobahnähnliche Schnellstraße Korneuburg— Stockerau, die den Durchzugsverkehr von der vierspurig auagebauten Bundesstraße übernommen hat. Gelingt es auf lange Sicht nicht, diese Überreste der Vergangenheit aus dem Betreuungsbereich des Bundes zu entfernen, dann leidet recht bald das Ausbautempo, weil beträchtliche Geldmittel für die Erhaltung solcher Strecken verwendet werden müssen. Immerhin erfordert die Instandhaltung des Bundesstraßemnetzes heute • bereits eine halbe Milliarde Schilling im Jahr. Für jeden Kilometer, den der Bund erhält, gehen dafür jährlich 50.000 Schilling auf. Der regionale Widerstand gegen eine vernünftige Lösung im Interesse eines übergeordneten Ausbaugeschehens ist verständlich, doch dürfte ihm nicht nachgegeben werden.

Noch ist der neue Entwurf des Bun-desstraßengesetzes nicht verschickt, doch hört man aus gut informierter Quelle, daß das Bautenministerium in dieser entscheidenden Frage dem Druck der Länder nachgeben möchte. Die II. Straßenkategorie hat man angeblich fallen gelassen. Allerdings soll das Bautenministerium ermächtigt werden, für den Durchzugsverkehr entbehrlich gewordene Straßenteile als Bundesstraßen aufzulassen. Diese Möglichkeit wird indessen stark eingeschränkt. Die Länder und Gemeinden sollen ein Recht zur Stellungnahme, also zum Einspruch, erhalten. Mitreden sollen, überdies noch die Ministerien für Handel, Landwirtschaft, Verkehr und Landesverteidigung dürfen.

Ob der frühere Bautenminister Dr. Kotzina mit der Verwässerung seines großzügig angelegten Neubewertungskonzeptes viel Freude haben wird, bleibt abzuwarten. Und die Kraftfahrer,..?

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