"Bitte mehr Mut und weniger Ideologie“

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Bildung • Welche Neuerungen braucht es an Österreichs Schulen und Universitäten?

Die Leistungen der österreichischen Schüler in und am Ende der Pflichtschulzeit sind trotz hoher Bildungsausgaben nur durchschnittlich, die Leseleistungen der 15-/16-Jährigen im Schnitt schwach. Österreich fällt aber auch bei der Ausbildung einer Leistungselite international zurück. Strukturfragen in der Berufsbildung harren der Lösung. Einer neuen Bundesregierung ist zu wünschen, dass sie zumindest dort Lösungen umsetzt, wo breiter Expertenkonsens besteht. Dass wenig faktenorientiert, dafür aber ideologisch aufgeregt und mit Rücksicht auf die je eigene Klientel argumentiert wird, zeigt das Beispiel Unterstufenreform. Wer eine gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen mit dem Argument ablehnt, die AHS-Unterstufe als Schule der höher Begabten dürfe nicht geopfert werden, nimmt die Daten nicht zur Kenntnis. In Großstädten ist die Wahrscheinlichkeit, eine AHS zu besuchen, doppelt so hoch wie am Land; die soziale Herkunft bestimmt stärker als die Leistung, wer eine AHS besucht; und das schwächste Viertel ihrer Schüler ist in Mathematik und Deutsch vom besten Viertel der 3. Leistungsgruppe in den Hauptschulen leistungsmäßig nicht zu unterscheiden. Ebenso wenig evidenzbasiert arbeitet aber auch, wer andererseits eine Neue Mittelschule in die Fläche bringt, ohne die nötigen Evaluierungen abzuwarten. Die Reform der Sekundarstufe I wird so dem Streit der Ideologien geopfert, Begabungsreserven bleiben unausgeschöpft. Gleichzeitig bleibt keine Energie dafür, sich neuen Fragen zu widmen: Wie kann die Unterrichtsqualität in den Klassenzimmern verbessert werden? Und wie können die tatsächlichen Leistungseliten gefördert werden?

An den Empfehlungen des Nationalen Bildungsberichts vorbei wird auch bei der Lehrerbildungsreform agiert. Während unabhängige Experten einen Master- bzw. Magisterabschluss befürworten, sollen nun schon Bachelor-Absolventen selbst in höheren Schulen unterrichten dürfen. Von der schon lange empfohlenen echten Akademisierung der Lehrerbildung ist man noch weit entfernt - auch weil die Lehrerbildungsagenden auf zwei Ministerien verteilt sind. Eine Reform, die im kleinen Österreich regional unterschiedliche Strukturen etabliert, Pädagogische Hochschulen und Universitäten weiterhin parallel führt und die PHs nicht aus der politischen Gängelung und in die Autonomie entlässt, ist jedenfalls erstaunlich mutlos.

Angesichts der Großbaustellen bleiben andere Problembereiche fast unbemerkt. Zum Beispiel beteiligt sich Österreich am Auf- und Ausbau der Bologna-Struktur und orientiert sich an OECD-Benchmarks bei der Ausweitung seiner Akademikerquoten. Gleichzeitig ist es stolz auf sein europaweit einzigartiges höheres berufsbildendes Schulwesen, dem dadurch innerösterreichische Konkurrenz erwächst. Immerhin sind BHS-, FH- und Universitätsabschlüsse oft wechselseitig ersetzbar.

Die Agenda ist daher umfangreich: Neubewertung der Lehrerbildungsreform und glaubwürdige Akademisierung, Neuverhandlung des allzu eilig verabschiedeten Lehrerdienstrechtsentwurfs, Eindämmung des parteipolitischen Zugriffs auf allen Systemebenen, massierte Förderung der Risikogruppen, insbesondere Leseförderung, Definition von Bildungs-Mindeststandards, Unterstufenreform sowie integrierte Planung der Entwicklung des sekundären und tertiären Bildungsbereichs.

Georg Hans Neuweg

ist Abteilungsleiter am Inst. für Pädagogik und Psychologie der Johannes Kepler Universität Linz, Mitautor der Nationalen Bildungsberichte 2009 und 2012 - sowie nebenberuflich Lehrer.

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