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Die HTL: Ein Bildungsweg mit EU-Zukunft

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Die Vorteile berufsbildender höherer Schulen liegen in ihrer Praxisnähe. Ihre Absolventen sind sofort einsetzbar.

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Die Vorteile berufsbildender höherer Schulen liegen in ihrer Praxisnähe. Ihre Absolventen sind sofort einsetzbar.

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Das berufsbildende technische Schulwesen hat in Österreich Tradition. Tut doch das ehrwürdige Alter Höherer Technischer Lehranstalten (HTL) ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Umfragen bestätigen die hohe Zufriedenheit der Absolventen und der Wirtschaftsunternehmen. Als Pluspunkte gelten Ausbildungsbreite, Praxisnähe, Aktualität und rasche Anwendbarkeit des Könnens. Geringe sprachliche und wirtschaftliche Kompetenz sowie mangelnde Fähigkeit zur Teamarbeit werden demgegenüber kritisiert. Die H'IL-Matura qualifiziert bekanntlich nicht nur zum unmittelbaren Erst-einstieg in einen gutbezahlten Spezialberuf, sondern berechtigt auch zum Universitätsstudium. Beim Einstieg in eine Fachhochschule der eigenen Fachrichtung „erspart” sie zumindest zwei Semester. Kein AVunder, daß es in Österreich 58 HTL gibt.

Die Anpassung des berufsbildenden Schulwesens an die modernen Anforderungen hat zu einer verwirrend großen Zahl von Fachrichtungen geführt. Zwar hat eine frühe Spezialisierung unbestritten den Vorteil einer gründlichen Vorbereitung auf ein bestimmtes Fachgebiet mit erhöhten Berufschancen, jedoch kann die Entscheidung im 14. Lebensjahr des Schülers Eltern und Schüler überfordern.

Heute kommen brennende Fragen dazu. Kann die bewährte Österreichische HTL neben den neuen Fachhochschulen ihre Bedeutung erhalten? Bleibt die Österreichische HTL auch in der EU anerkannt? Lohnt es sich überhaupt, die Anstrengungen einer HTL in Kauf zu nehmen? Ja! Dreimal Ja - unter folgenden Bedingungen:

■ Die österreichische Bildungspolitik bekennt sich einhellig zur HTL! Behutsames Straffen von Ausbildungszweigen auf Stammbereiche ohne Aufgabe der Spezialbe-treuung und der fachspezifischen Abschlußqualifikation (Fachmatura) verbreitert die Basis und verschiebt die Fachentscheidung in ein höheres Schüleralter.

■ Schulautonomie und Projektunterricht aktualisieren den Unterricht. Der technische Projektunterricht soll aber erst in den Abschlußjahrgängen einsetzen, weil er das ruhige und planmäßige Üben von Fertigkeiten voraussetzt. Projektstudien mit Wirtschaftsbetrieben haben sich immer schon bewährt. Erst das systematische Anleiten der Schüler zum eigenständigen Lernen am Beispiel des gewählten Fachgebietes läßt das Schlagwort vom „Lernen lernen” gegen die natürliche Trägheit aller Beteiligten immer lebendig bleiben. ■ Ausbildungsprofile für die verschiedenen Qualifikationsstufen legen den beruflichen Ersteinstieg fest, ermöglichen das Zusammenfügen der einzelnen Systeme („Integration”) und definieren das „Umsteigen”. Die Lehre zeichnet sich dabei durch Aus-führungskompeteWz, die HTL durch praktische Ausbildungsbreite, die Fachhochschule durch besondere Wirtschaftsnähe („Projektmanagement”) und die Universität durch akademische Ausbildungstiefe aus. Erst durch diese Abgrenzungen werden die einzelnen Bildungseinrichtungen ergänzend aufeinander bezogen.

Die Gültigkeit dieser Rahmenbedingungen habe ich persönlich am Beispiel der heutigen Höheren Lehranstalt für Werkstoffmgenieur-wesen (Ausbildungsschwerpunkt Kunststoff- und Umwelttechnik) am TGM zum Teil auf beschwerlichen Umwegen erfahren.

Die 1963 gegründete fünfjährige Höhere Lehranstalt für Kunststofftechnik am TGM war damals europaweit die erste ihrer Art. Sie hatte mit dem viersemestrigen Kolleg für Kunststofftechnik jahrelang den Nachholbedarf der österreichischen Kunststoffwirtschaft gedeckt und sich mit Einbrüchen nach den beiden „Ölschocks” bis in die neunziger Jahre gut entwickelt

In den siebziger Jahren war die Österreichische Ausbildungskonzeption um die Studienrichtung Kunststofftechnik an der Montanuniversität Leoben und um den Lehrberuf Kunststoffverarbeiter vervollständigt worden. 1990 kam ein viersemestriger Abendlehrgang für Kunststoff - Entsorgungstechnik (heute: Werkstoffrecycling und Umweltmanagement) am TGM dazu. Ein Fachhochschul-Stu-diengang für Kunststofftechnik und Recycling ist beantragt und für das Schuljahr 1995/96 am TGM zur Eröffnung vorgesehen. Seit vier Jahren zeigt sich nun ein atypischer Trend. Trotz österreichweit nach wie vor guten Stellenangeboten sank die Zahl der Erstanmeldungen stärker, als es die üblichen Schwankungen erwarten ließen. Eine Ursache dafür scheint das fehlende Sachwissen über Polymere als wiederverwertbare Hochleistungswerkstoffe und Energieträger zu sein. Die Kunststoffwirtschaft ist sich heute ihrer Versäumnisse in der Auseinandersetzung mit einer kritischen Öffentlichkeit durchaus bewußt.

Eine weitere Ursache dürfte die unzureichende Information über die Berufsbilder in der Kunststoff- und Umwelttechnik sein. Junge Interessenten fragen konkret und kritisch -die Schulen reagierten vielleicht zu umständlich. Heute werden die Karrieremöglichkeiten als männliche oder weibliche Entwicklungsingenieure, Umweltmanager, Produktionsleiter, Automatisierungsingenieure, Vertriebsingenieur, CAD-Konstrukteure (Computer Aided Design), Verfahrensingenieure und Qualitätsmanager jedenfalls klarer dargestellt.

Bleibt die Frage der HTL-Qualifikation und der EU-Anerkennung. Die TGM-Kunst-stofftechnik hat durch Ausweitung der HTL-Basis auf das gesamte Werkstoffingenieurwesen einschließlich Keramik, Glas- und Baustofftechnik darauf - wenn auch nicht ganz freiwillig - reagiert. Der unbestrittene Vorteil des HTL-Absolventen, sofort im Beruf einsetzbar zu sein, wird dadurch noch vergrößert.

Zugleich gibt der Ausbildungsstamm Werkstoffingenieurwesen neue Konzepte vor: Ökologie, Entsorgungstechnik, Recycling und Umweltschutz sowie computerunterstützte Technologien sind höchst zeitgemäße Schwerpunkte der Ausbildung.

Sie entwickeln den in diesem Hause seit 1974 gepflegten Gedanken des Kunststoffkreislaufes zum alternativen Werkstoffkonzept der Nachhaltigkeit. Nicht Maximie-rung des Konsums durch Produktionsoptimierung, sondern Maximierung der Lebensqualität durch nachhaltige Optimierung der Ressourcen- und Energieströme ist das zukunftsweisende Leitbild des Werkstoffingenieurwesens am TGM.

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