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Doktorat und Lehramtsprüfung

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Das geplante neue Hochschulstudiengesetz wirft (vielleicht gerade deshalb, weil es eine nieglichst einheitliche Regelung für bisher nicht nach demselben Grundschema aufgebaute Studientypen geben will) auf den verschiedenen Gebieten jeweils ganz verschiedene Probleme auf, die nur um so deutlicher empfinden lassen, wie heterogene Dinge hier auf denselben Nenner gebracht werden sollen.

Eines dieser Probleme ist das Doktorat der philosophischen Fakultät, das seinem Wesen nach nicht entweder (wie das theologische und das juridische Doktorat) die höhere Stufe der betreffenden Berufsausbildung darstellt oder überhaupt die erforderte Berufseignungsprüfung ist (wie das medizinische Doktorat), sondern einen Nachweis der Fähigkeit zum selbständigen Forschen bedeutet, der mit dem Nachweis der Befähigung zum Mittelschulunterricht in dem betreffenden Fache keine wesensgemäße Bindung aufweist, weder als Oberbau noch als Voraussetzung. Es sind einfach zwei verschiedene Dinge, die zwar denselben Gegenstand betreffen, aber in der Methode seiner Behandlung und im Gesichtspunkt, unter dem er für sie Bedeutung hat, sich wesenhaft unterscheiden. Deshalb werden auch die drei anderen Fakultäten gewiß für eine — dem Studienbetrieb der übrigen Hochschulen entsprechende — Regelung zu gewinnen sein, die einen gebundenen Studiengang ergibt und vor das Doktorat einen niedrigeren Grad einschaltet, der zu gewissen Arten der Berufsausübung schon genügen soll, während für andere die „volle Berufsausbildung“ in Form des Doktorats erforderlich ist. Weitgehend besteht ja bei ihnen schon jetzt ein solcher gebundener Studiengang. Wie wirkt sich aber diese neue Regelung bei den Studien aus, die die philosophische Falkultät umfaßt, sowohl die geistes- als auch die naturwissenschaftliche Richtung?

Bei der zweiten ist noch — als Betätigungsfeld für den Inhaber des niedrigeren Grades (ob er jetzt Magister, Lizentiat oder sonstwie heißen soll) — eine Verwendung in der Industrie, in Laboratorien u. ä. denkbar. Aber welcher Unterschied besteht in den Geisteswissenschaften zwischen dem Inhaber des niedrigeren Grades (der der heutigen Lehramtsprüfung entspräche) und dem Doktorat? Welche Befähigung kann das Doktorat des betreffenden Faches noch geben als die, in der Mittelschule zu unterrichten — eben die Befähigung, die der untere Grad auch schon verleihen muß, wenn er überhaupt etwas verleihen soll?

Die neue Regelung — auf den geisteswissenschaftlichen Studienbetrieb angewendet — muß aber auch andere, schwerwiegende Auswirkungen auf das Niveau des Studienbetriebes zeitigen. Gegenwärtig werden die Seminarübungen, die die für die eigentliche Leitung und Lenkung des Studiums wichtigste Lehrveranstaltung sind, da sie die Anleitung zu selbständiger wissenschaftlicher Erarbeitung und Durchdringung des Stoffes („Forschung“ wäre noch zu hoch gegriffen) und die Erziehung zu selbständiger wissenschaftlicher Urteilsfähigkeit bieten, auf dem für die Vorbereitung zum Doktorat erforderlichen Niveau gehalten. Durch die für die Lehramtskandidaten erforderte Teilnahme an den Seminarübungen durch zwei Semester war im bisherigen Betriebe das für die österreichische Lehramtsausbildung geltende Prinzip gewährleistet, daß der künftige Mittelschullehrer durch eine wissenschaftliche und nicht nur fachschulmäßige Ausbildung hindurchgegangen sein müsse — und für alle anderen Studiengänge kam als Abschluß ohnehin nur das Doktorat in Betracht. .Wenn jetzt vorgesehen ist, daß für das Doktorat nach Erwerbung des unteren Grades noch zwei weitere Studiensemester gefordert werden, stellt sich die Frage: Sollen die Uebungen auf die Bedürfnisse des Doktoranden, das heißt auf das wissenschaftlich-methodische Ausbildungsziel, oder auf die praktisch-materialmäßige Zielsetzung des unleren Grades abgestellt sein? (Es liegt hier ein striktes Entweder-Oder vor, kein „Mehr oder Weniger“, das mit dem Kompromiß „jedem etwas“ gelöst werden kann.) Im ersten Falle werden sich die Aspiranten auf den unteren Grad (der für die meisten überhaupt der Abschluß ihrer Studien sein wird) darüber beklagen, man verlange von ihnen im Rahmen der Uebungen etwas, was sie nicht zur Erlangung des von ihnen angestrebten akademischen Grades brauchen — im anderen Fall wird sich der Doktorand beklagen, man habe zwar den Ab-schlußtermin seiner Studien um ein Jahr hinausgeschoben, biete ihm aber in diesem einen Jahr nicht mehr, als er schon für die Erlangung des unteren Grades erhalten und gebraucht hat, und überhaupt nichts, was zur speziellen Vorbildung auf den höchsten und eigentlichen akademischen Grad notwendig ist.

In Frankreich hat man dieses Dilemma dadurch gelöst, daß die Universität im normalen Betrieb faktisch überhaupt nur die Vorbereitung zum unteren Grade, der „Licence“, darstellt, und es wurde sozusagen ein höheres Stockwerk für die Doktoranden aufgesetzt, die Ecole Pra-tique des Flautes Etudes, in der die eigentliche wissenschaftlich-methodische Ausbildung gegeben wird. Eine solche Lösung würde aber eine wesentliche Erweiterung des Lehrpersonalstandes gerade auf höchster Ebene voraussetzen, an die heute bei uns wohl nicht zu denken ist. Kann man die vorhandenen Lehrkräfte dazu verhalten, parallel zwei ganz verschiedene Typen von Uebungen zu veranstalten? Selbst wenn dies möglich wäre — und wenn man es auch in Kauf nehmen würde, daß damit das Prinzip aufgegeben wird (das den hohen Rang der österreichischen Mittelschule und ihr heute noch bestehendes internationales Ansehen begründet hat), daß der Mittelschullehrer durch eine Sirene wissenschaftliche Ausbildung hindurchgehen muß — bestünde nicht die Gefahr, daß selbst dieses auf die künftigen Doktoranden beschränkte Reservat des eigentlich wissenschaftlichen Betriebes innerhalb der Universität immer mehr an Raum verliert und schließlich an der Universität überhaupt nicht mehr das geleistet wird, was eigentlich wissenschaftlicher Universitätsbetrieb in vollem Sinne immer und überall sein sollte? Denn selbst die Abhaltung des „Doktorandenseminars“, das dann allein den wirklich universitären Charakter des Lehrbetriebes beibehalten würde, würde von dem Zufall abhängen, daß es genug Interessenten für die Erwerbung des Doktorats, über den geplanten unteren Grad hinaus, gibt — und wird es sie geben, wenn gerade die Berufsbefähigung schon durch den unteren Grad allein gewährleistet ist? Es geht ja auch jetzt schon die Zahl der Doktorate dort sichtbar zurück, wo zum Beispiel die Lehramtsprüfung die genügende berufliche Befähigung verleiht, obwohl die jetzigen Seminarübungen auch für den Doktoranden bestimmt sind und für diesen kein längeres Studium erfordert ist. Das soll nicht heißen, daß es das Interesse der Universität wäre, auf jeden Fall eine hohe Anzahl von Doktoren zu produzieren, im Gegenteil. Aber es besteht die Gefahr (wenn die Seminarübungen für die Aspiranten auf den unteren Grad deren Bedürfnissen angepaßt werden), daß mit dem Rückgang der Anzahl der Doktoranden, der dann noch verstärkt zu erwarten ist, auch der eigentlich wissenschaftliche Lehrbetrieb an der Universität immer mehr an Boden verliert.

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