Eine Schule für das Leben

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An Schulversuchen und Reformvorschlägen mangelt es nicht. Aber die zentrale Frage bleibt unbeantwortet: Was sollen wir lernen müssen?

Lehrer und Journalisten haben viel gemeinsam. Beide sind Rechercheure, Redakteure und Kommunikatoren: Aus der immer unübersichtlicher werdenden Wissensfülle wählen sie aus, bereiten das Material auf und vermitteln es anderen. Gemein ist beiden Gruppen auch das schlechte Image. Die Gründe dafür sind freilich sehr unterschiedlich - und anders als in der trotz Krise immer noch selbstbewussten Medienbranche herrscht an den Schulen große Verunsicherung. Während Journalisten am Puls der Zeit zu sein scheinen, haben Lehrer vielfach den Eindruck, diesem stets hinterher zu hecheln. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt darin, dass Lehrer im Unterschied zu den Medienleuten mit dem Leiten und Begleiten von Kindern, Heranwachsenden zu tun haben, es also um paidagogike techne, die Kunst der Erziehung, geht - in kaum einem anderen Bereich aber, freilich weit über die Schule hinausreichend, die Orientierungslosigkeit so mit Händen zu greifen ist.

Lehrer unter Druck

Von zwei Seiten sind die professionellen Pädagogen unter Druck geraten: Für die einen ist "Schule" noch immer mit "autoritär", "repressiv" konnotiert; die Beweislast liegt dieser Logik gemäß beim Lehrer: er muss zeigen, dass er doch kein Schülerschinder ist. Anderen gelten die Lehrer - wie die öffentlich Bediensteten allgemein oder auch die Bauern - als Inbegriff der Immobilität, Unflexibilität, mithin als seltsam widerständig gegen den Sog der Zeit. Nicht von ungefähr sitzt der Hass der Hurra-Liberalisierer und Modernisierrungseuphoriker - darunter nicht wenige Journalisten - auf diese Berufsgruppen tief. (Zur schärferen Konturierung von deren Negativ-Profil verwendet man gerne die Begriffe "Funktionär" oder "Gewerkschafter": der "Agrarfunktionär" oder "Lehrergewerkschafter" in einem Kommentar ersetzt jedes Argument...).

Solcherart schon in der Zange, schlägt den im Unterricht Tätigen zudem noch eine Vielzahl an Erwartungen entgegen: (Aus-) Bildung auf der Höhe der Zeit, also an den Erfordernissen der heutigen Arbeitswelt orientiert; Betreuungsstätte; Raum für soziales Lernen; Ersatz für brüchig gewordene familiäre Strukturen...

Die daraus resultierende Überforderung der Schule hat zu jener Unsicherheit beigetragen, die sich auch in der Vielzahl von Schulversuchen und Reformideen widerspiegelt. Sie alle sind der Erkenntnis entsprungen, dass das jeweils heutige Wissen nicht mit den Methoden von vorgestern vermittelt werden kann. Damit ist freilich die eigentliche Frage nach Inhalt und Zielen des Unterrichts noch nicht beantwortet. Bildungsministerin Elisabeth Gehrer ließ dieser Tage mit dem Vorschlag einer Kürzung der Unterrichtszeit aufhorchen - zwecks "Entlastung" der Schüler (und natürlich auch im Sinne des Sparens). Man müsse nicht alles, was bisher gelehrt worden sei, unbedingt weiter unterrichten. Was indes nicht unbedingt weiter zu unterrichten sei, wollte Gehrer nicht festlegen, das sei mit Experten zu diskutieren. Und im Übrigen kommt hier natürlich auch die Autonomie der Schulen ins Spiel: das Erarbeiten eines je eigenständigen Profils, mit dem man um Schüler - die "Kunden", wie man heute gerne sagt - wirbt.

Bildung als Selbstzweck

Kann das aber der Weisheit letzter Schluss sein? Steckt da nicht der fehlende Mut und/oder die verlorengegangene Fähigkeit dahinter, Bildungsziele zu benennen - als Selbstzweck, nicht nur ständig sich wandelnden Rahmenbedingungen unterworfen? Bei allem Verständnis für das Belebende des Wettbewerbs: Die seit längerem übliche penetrante Übertragung von Marktkategorien auf das Schulsystem sollte uns außerordentlich irritieren. Die Schulen laufen so Gefahr, sich auf Wissensanbieter im Wettlauf um den besten Mix aus Tarif und Infrastruktur, analog etwa zur Energie- oder Telekom-Branche, zu reduzieren. Am Ende gilt uns dann der Satz des "Kunden" Schüler Ich will... vom Festnetz SMSen als ultimativer Ausdruck reifer Individualität.

Überspitzt? Mag sein. In jedem Fall sollte uns bei der Diskussion um die Zukunft der Schule nicht die Sorge um vordergründige Praxisnähe, Standortqualität und dergleichen mehr leiten - sondern, umgekehrt, die Überzeugung, dass Neugierde, Offenheit, umfassende Bildung letztlich auch das ökonomisch Sinnvollere sind.

rudolf.mitloehner@furche.at

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