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Wer braucht noch Germanisten?

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Es geht hier um eine prinzipielle politische Entscheidung", meint Karlheinz Rossbacher, Vorstand des Institutes für Germanistik der Universität Salzburg: „Will man Menschen, die eine vollere Form der Sprache beherrschen als nur die Reduktionssprache der Rilder und Zeichen, wie sie von den Medien vorgegeben wird? Will man die Pflege der Künste und Wissenschaften?" Wolle man den Status eines Landes, in dem Kultur und Geist ihren Platz haben und wolle der Staat sich mit Kultur profilieren, dann müsse die Politik sich auch offen dazu bekennen und mithelfen, nicht nur das Überleben wirtschaftlich oder technisch orientierter Studienrichtungen zu sichern. Denn: „Was wir .bringen', kann nicht auf einfache Kosten-Nutzen-Rechnungen gebracht werden", betont Rossbacher.

Die Literatur habe eine „begriffsauflösende Kraft", die helfen könne, Klischees und Floskeln - „sprachliche Fertigteile" - zu erkennen und zu hinterfragen. Germanistik sei zudem ein Fach, das zu einer „identitätsstiften-den Vergangenheitssicht" befähige: „Wir werden von unserer Kultur-, Geistes- und Realgeschichte geprägt, daher soll man sie auch kennen, damit man weiß wer man selber ist."

Wer aber braucht Germanisten? Die Wartezeit für Deutschlehrer ist endlos. Rossbacher glaubt aber, daß in acht bis zehn Jahren wieder ein größerer ßedarf an Deutschlehrern entstehen werde, wenn die in den siebziger Jahren produzierte große Lehrergeneration ins Pensionsalter komme.

Was aber machen die jetzigen Absolventen? „Die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt ist den Anfängern ja bekannt," meint der Germanistik-Vorstand. Die Absolventen seien daher flexibler und anpassungsfähiger als etwa manche Jus-Absol-venten, die sich überrascht und unvorbereitet mit der zur Zeit schwierigen Arbeitsmarktsituation konfrontiert sähen.

Mit einem verstärkten Praxisbezug habe man nun versucht, der Situation Rechnung zu tragen: „Deutsch als Fremdsprache", „Rhetorik des Schreibens", „Verlags-, Rundfunk-und Theaterarbeit" sowie „Erwachsenenbildung" werden als Wahlfach angeboten.

Der derzeitige Gastprofessor am Institut für Germanistik in Salzburg, Jochen Schulte-Sasse vom Department of Cultural Studies and Compa-rative Literature der Universität Min-neapolis, stellt in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht ein geisteswissenschaftliches Grundstudium für alle Studenten sinnvoll wäre.

Die Situation in Amerika lasse sich, aufgrund des prinzipiell anderen Bildungs-Systems, nicht mit der europäischen oder österreichischen vergleichen, erklärt Schulte-Sasse. „Auf zwölf Jahre Schule folgen vier Jahre College-Erziehung, die oft innerhalb der Geisteswissenschaften absolviert werden. Erst danach erfolgt, in Graduierten-Studien, die Ausbildung an der Universität."

Eines der Probleme des Germanistikstudiums sieht der Gastprofessor in der einseitigen Ausrichtung auf Literatur: Er plädiere für „Critical Li-teracy", ein Fach, das nicht ausschließlich auf Werke und Autoren ausgerichtet sei, sondern sich kritisch mit allen Medien und kulturellen Phänomen befasse: „Natürlich beschäftigt man sich auch hier intensiv mit dem ,Faust'. Es geht aber ganz wesentlich darum, zu erkennen, wie unser Denken von alten Strukturen beeinflußt wird." Der kritische Umgang mit einem Text, der den Text nicht als unantastbare, quasi „heilige" Größe, sondern als Herausforderung ansieht, bereichere und befruchte das Denken einer Kultur.

Was hier in Europa an geisteswissenschaftlichen Studien angeboten werde, führe, so Schulte-Sasse, zu schnell zur Spezialisierung. „Die frühe Spezialisierung von Anfang an, ist nicht gut. Wenn man schon mit 18 Jahren in ein Jus-Studium hineingeht, begünstigt das eine Fachidiotie."

Ein geisteswissenschaftliches Grundstudium für alle Studienrichtungen, wie es in Amerika etwa das College bietet, hält Schulte-Sasse für eine notwendige Voraussetzung für „alle Berufe mit einer gewissen Verantwortlichkeit". Dieses Grundstudium müsse stärker bezogen sein auf das, was heute in der Gesellschaft eine Rolle spielt: „Veränderungen sind nicht aufzuhalten. Daher ist es notwendig, die kritischen Fähigkeiten zu entwickeln, damit umzugehen." Selbst wenn man etwa die neuen Medien ablehne, müsse man sich damit auseinandersetzen, „damit man' das Handwerkszeug besitzt, sie zu analysieren", so der Gastprofessor.

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