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Wieder Universitas?

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Spezialistentum und Zweckstudium, die Trennung der Naturwissenschaften von den Geisteswissenschaften, die Hilflosigkeit neuauftauchenden Disziplinen gegenüber, schließlich die Lücken im Allgemein- und Grundwissen haben an den westdeutschen Universitäten eine lebhafte Diskussion darüber ausgelöst, wie diesen Mängeln abzuhelfen sei. Im Hintergrund steht — mehr als die Sorge um Allgemeinbildung! — der Vorwurf, daß die Universität zu wenig dazu beisteuere, um Menschen heranzubilden, die ein begründetes eigenes Urteil zu fällen befähigt sind, wenn eine verantwortliche Stellungnahme in Fragen des persönlichen und öffentlichen Lebens gefordert wird. „Ohne gewisse Kenntnisse“ — so schrieb vor kurzem der Rektor der Freien Universität Berlin — „auf den Gebieten der Psychologie, Soziologie, Rechtslehre, Wirtschaftskunde und Geschichte ist niemand in der Lage, das Ausmaß seiner Verantwortung voll zu erfassen, wenn es um Entscheidungen geht, die das Wohl einzelner Menschen oder der Allgemeinheit betreffen“.

Das Bedürfnis nach einem Studium generale ist nicht nur in Westdeutschland vorhanden. In den angelsächsischen Ländern kennt man diese Bestrebungen unter dem Namen „general education“, und Frankreich hat, alarmiert durch den Ansturm auf die Hochschulen und das sinkende Bakkalaureatsniveau, zwischen der Matura und dem Beginn des Fachstudiums seit 1948 die „annde propedeu-tique“ eingeführt, die mit einer Schlußprüfung endet. (Diese ist durchaus keine Formalität: bei der ersten sind rund 50 Prozent der Kandidaten durchgefallen!)

In Deutschland befindet sich das Studium generale im Stadium des Experiments, und die „Neue Zeitung“, München, die anläßlich einer Tagung deutscher und ausländischer Hochschullehrer in Weilheim dem ganzen Fragenkomplex eine Folge von Berichten gewidmet hat, spricht geradezu von „Laborversuchen mit dem Studium generale“.

Der Gedanke, dem Studenten die Möglichkeit zur Erweiterung seines Horizonts durch den Blick über die eigenen Fakultätszäune hinaus zu geben, ist nicht völlig neu, denn 6chon vor zwanzig und dreißig Jahren gab es an den meisten Universitäten „Vorlesungen für Hörer aller Fakultäten“, die als solche im Vorlesungsverzeichnis gekennzeichnet waren. N e u am Studium generale ist der Versuch, die „Allgemeinbildung“ zu einem Grundwissen zu vertiefen und ihre Vermittlung in ein pädagogisches System zu bringen; ferner die Wiederbelebung des Gedankens, daß „Universität“ ja nicht nur Wissensvermittlung meint, sondern auch das Zusammenleben von Studenten und Professoren, angefangen von Arbeitsgruppen über collegeartige Gemeinschaften bis zur Universitätssiedlung.

Der umfassendste Versuch, ein Studium generale zu verwirklichen, wurde an der Universität Tübingen unternommen. Das dortige L e i b n i z-Kolleg nimmt vor Beginn ihres eigentlichen Universitätsstudiums etwa hundert Kandidaten auf, die durch ein vorbereitendes Universalstudium, das durch ein siebenköpfiges Professoren- (Tutoren-) Kollegium vermittelt wird, in die Eigenart und in den Zusammenhang, der Wissenschaften eingeführt werden sollen. Der Grundgedanke ist, das Ganze vor die Teile zu stellen, um so von allem Anfang an eine Perspektive zu gewinnen, die durch das spätere Spezialstudium oft verdeckt wird. Jedes der Trimester hat ein Hauptthema (Natur, Geschichte und Gesellschaft, Person). Die wichtigste Unterrichtsform ist das Lehrgespräch; besondere Abschlußprüfungen sind durch einen am Ende jedes Semesters stattfindenden „Beurteilungskonvent“ ersetzt.

Ähnlich ist das „Collegium Aca-demicum“ an der Universität Heidelberg organisiert, das gleichfalls als Arbeits- und Wohngemeinschaft bereits 1945 gegründet wurde. Das Studium generale wird hier in Arbeitsgemeinschaften parallel zum Fachstudium gepflegt. Auch hier gibt es drei Programme (ein literarisches, ein philosophisches und ein politisches), die durch „offene Abende“, Vorträge und Diskussionen ergänzt werden.

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