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Gedanken zum Schulgebet

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Nach langer Zeit wieder ein mal zu beten, das ist so, als -L 1 würden Verwandte, die jahrzehntelang zerstritten waren, in bester Absicht ein Versöhnungsmeeting planen.

Die merken sehr rasch, daß der gute Wille allein zu wenig ist. Man muß scheint's neu sprechen lernen miteinander. Allerdings nicht im Sinn einer gewissen Höflichkeit - so, als sollte der Knigge ein neues Kapitel bekommen: „Über den Umgang mit Gott" - sondern, worum es geht, das ist die Wiederentdeckung der Ehrlichkeit.

Das ist ja überhaupt das Kennzeichen eines Gebetes. Eine Ehrlichkeit, die zwangsläufig in der Nähe der Unverschämtheit haust. Ob man das wieder erlernen kann? „Wieder" - denn als Kinder haben es ja zumindest einige Zeitgenossen gekonnt:

„Laßt meinen Lehrer krank werden, aber nicht zu sehr, nur so zwei bis drei Tage; Oder macht, daß das Schulhaus brennt, aber erst, wenn die Ferien aus sind. Macht, daß die Hausaufgaben und Noten abgeschafft werden; macht, macht, .. .laßt meinen Lehrer krank werden." Das sei doch gar kein Gebet, wird man vielleicht jetzt einwenden und hat schon recht. Vor allem deshalb, weil es sich ja an niemanden Bestimmten wendet. Aber sonst? Da spricht wenigstens einer, der sich nichts vormachen will.

Er weiß, was er will - so bedenklich das auch sein mag -und er spricht es einmal aus. Es ändert sich zwar anscheinend nichts dadurch, aber nachher ist ihm leichter zumute.Was einen wirklich bewegt, gehört eben einmal gesagt. Schon deshalb, damit man es nicht verlernt. Hier sollte man sich nichts vormachen. Was einen wirklich bewegt, trägt man nicht ungestraft zu lange nur in seinem Hirn oder Herzen mit sich herum. Es könnte nämlich im Laufe der Jahre verdunsten.

Und wenn man dann eines Tages die Konservendose öffnet, dann könnte sie leer sein. Und darum sollte man in einer guten Schule nicht das opportunistische Lügen lernen - obwohl einem das im Leben sehr nützlich sein kann - sondern das Aussprechen einer störenden, unbequemen, ja oft lästigen Wahrheit.

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