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Wenn die Politiker sparen

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Jeder ehemalige Schüler weiß, daß er die Hälfte von dem, was er in der Schule gelernt hat, hie gebraucht hat.

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Jeder ehemalige Schüler weiß, daß er die Hälfte von dem, was er in der Schule gelernt hat, hie gebraucht hat.

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Wenn man Schulden hat, muß man sparen, das ist klar - egal, ob man eine arme Witwe mit sieben Kindern ist oder ein reicher Staat mit Millionen von Steuerzahlern. Wirklich sparen können natürlich nur die Reichen, die Armen haben ja nichts, was sie sparen könnten.

Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich da in einer idealen Situation: Sie kann sparen, weil sie reich ist, und sie muß sparen, weil sie Schulden hat. Die Frage ist nur, wie und wo man sparen soll.

Man kann unterschiedlich sparen. Wenn man sich zum Beispie kein Brot mit Schinken leisten kann, begnügen sich die einen mit Brot ohne Schinken und die anderen essen einfach Schinken ohne Brot.

Manche Leute wissen immer genau, wo sie mit dem Sparen anfangen sollen. Sparsame Hausfrauen setzen dreimal in der Woche Nudeln auf die Familienspeisekarte. In den Büros spart man an Büroklammern und am Papier - indem man Konzepte auf der Rückseite alter Schriften schreibt; je mehr Beamte ein Amt hat, um so größer natürlich diese Ersparnisse. Deshalb bestellt man in Sparzeiten immer mehr Beamte und Führungskräfte. Medien und Verleger sparen immer zuerst an Autorenhonoraren - die sowieso einen geringen Anteil an den Gesamtkosten ausmachen.

In Prag erzählt man, daß die Parteioberen Husak und Bilak einst unter das Volk gingen wie weiland Harun-al-Raschid. Sie kamen auch in einen Kindergarten und fragten die Leiterin, welche Probleme sie habe. „Wir brauchen neue Stühlchen", meinte die Kindergärtnerin, „die alten sind wackelig und für die Kinder zu groß." - „Wieviel soll das kosten?" fragte Husäk. „Zwanzigtausend Kronen." „Das ist viel Geld", sagte der Parteichef, „ihr müßt schon mit den alten Stühlen auskommen, wir müssen sparen."

Dann besichtigten die beiden ein Gefängnis, und auch da fragte Husäk den Direktor, was er brauche. „Einen Swimmingpool für die Gefangenen", sagte der. „Was soll das kosten?" „Zwei MiUionen Kronen."„Gut", sagte Husak, „ihr bekommt das Geld." Als sie draußen waren, wunderte sich Bilak: „Du verweigerst den Kindern Zwanzigtausend und gibst ohne weiteres zwei Millionen für die Gefangenen ..." „Denk nach", belehrte Husak seinen bekanntlich nicht sehr hellen Partner. „Glaubst du, daß man uns beide, wenn sich die Situation ändert, in einen Kindergarten einsperren wird?"

Für unsere Staatsmänner und Parlamentarier ist die Wahl der Sparschwerpunkte und -methoden nicht so einfach. Wir alle müssen ihnen helfen, die Einsparungsmöglichkeiten zu finden.

Die Politiker sind schon von allein darauf gekommen, daß man bei der Bildung anfangen kann. Richtig. Die Schulzeit zum Beispiel ist entschieden zu lang - das wird jeder Schüler bestätigen^ Jeder ehemalige Schüler weiß, daß er zumindest die Hälfte von dem, was er in der Schule gelernt hat, nie gebraucht hat; und von der anderen Hälfte hat er längst mehr als die Hälfte vergessen. Wenn man also den überflüssigen Lehrstoff weglassen würde - die Hälfte und dann noch die Hälfte der Hälfte könnte man Dreiviertel der Schulzeit sparen.

Der Anteil der Bildungsetats in unserem Staatshaushalt ist auch heute niedriger als in vielen anderen europäischen Ländern - und, kann jemand etwa behaupten, daß die Bundesrepublikaner weniger gescheit sind als die anderen?

Sollte es jemand wagen, brauchen wir nur unsere Politiker vorzuzeigen. Allein die Tatsache, daß sie so schnell auf die Idee gekommen sind, man könne noch am Bildungsetat sparen, beweist, wie gescheit sie sind, und auch, daß sie die Prager Anekdote schon kannten. Sie wissen schheß-lich, daß man sie zwar abwählen, aber nie wieder in die Schule schicken kann.

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