Christus war ein großer Ungehorsamer

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Gehorsam aus Freiheit steht nur Gott zu. Und Ungehorsam bedarf keiner Erlaubnis durch die kirchliche Obrigkeit: Ein neues Buch leuchtet das aus.

Welch passenderes Geschenk zum bevorstehenden 60. Geburtstag hätte man dem Mentor der "Pfarrer-Initiative“, Helmut Schüller, machen können als eine Festschrift zum Generalthema "Ungehorsam“? Beim Lesen überlegt man bis zum 24. Beitrag, mit welchem Namen eine Rezension am besten eröffnet würde. Beim 25. und letzten weiß man es: mit Zitaten des jüngst verstorbenen austro-spanischen Vorzeigepriesters P. Josef García-Cascales: "Christus war einer der großen Ungehorsamen im Volke Israel“, schrieb er. "Gehorsam als christliche Tugend ist für mich die ‚Verfügbarkeit für die Liebe‘.“ Und in einem bewegenden, bisher unveröffentlichten Brief an Kardinal Schönborn: "Nach meiner Meinung ist die Kirche viel zu sehr Kind ihrer Zeit, statt Mutter, Gebärende der Neuzeit zu sein.“

Tugend des aufrechten Ganges

Dass Widerstandsrecht eine bis ins Altertum zurückreichende Tradition und auch in der katholischen Gesellschaftslehre einen festen Platz hat, argumentiert der Völkerrechtler Heribert F. Köck. "Ungehorsam bedarf keiner ‚Erlaubnis‘ durch die kirchliche Obrigkeit.“ Die "Tugend des aufrechten Ganges“ in der Kirche bis zum "ins Angesicht widerstehen“ verficht mit biblischen Argumenten der Neutestamentler Walter Kirchschläger, und sein Fachkollege Peter Trummer bekämpft die "absurdesten Zuspitzungen“ des Gehorsamsbegriffes und die gebräuchliche Missdeutung des Kreuzestodes Jesu, als hätte Gott diesen gewollt, während Jesus nur bewiesen habe, dass das Eintreten für die gerechte Sache selbst den Tod nicht scheuen dürfe.

Mehrere Beiträge schildern die historische Entwicklung des Widerstandsrechtes, am pointiertesten vielleicht der wohl eher glaubensneutrale Nichttheologe Peter Huemer: Als Gott mit der Prüfung Abrahams die Periode der Menschenopfer (kein Sonderfall Jesus!) beendete, wurde für die Machthaber das Prinzip bedingungslosen Gehorsams wichtig. Dass erwiesenermaßen Menschen eher im Widerspruch zu ihrem Gewissen gehorchen als vom Gewissen befohlenen Widerstand leisten, "erklärt viele Katastrophen der Geschichte“. Mit philosophischer Akribie untersucht Konrad Paul Liessmann das Thema.

Kultur wird wieder "autoritärer“

Der Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner plädiert für einen aus Freiheit und Gewissensverantwortung geborenen Gehorsam und verweist auf Studien, wonach jüngere Priester autoritärer orientiert seien als ältere. Insgesamt aber sind Priester weniger autoritär als der Bevölkerungsschnitt, und dass unsere Kultur wieder "autoritärer“ werde, sei unübersehbar. Der Publizist Peter Pawlowsky stößt bei der Suche nach der Krisenursache auf die Nichtbewältigung der Kommunikationsproblematik durch die Kirchenleitung: "Das Paar Befehl - Gehorsam hat in der modernen Gesellschaft keine Wirkung mehr.“ Mit Recht fordert daher Erhard Busek von der Kirche eine "Sprache des Heute“ und benennt Christentum und Humanismus als Erbe der europäischen Völker eindrucksvoll konkret. Nicht nur Herbert Kohlmaier, der zusammen mit Rotraut Perner diese Festschrift herausgab, irritiert die Zumutung, dass katholische Christen in zwei Welten existieren sollen: als selbstständige Bürger eines zivilisierten Staates und als praktisch rechtlose Mitglieder der Kirche.

So steuern namhafte katholische und evangelische Autorinnen und Autoren, teils mit unterschiedlicher politischer Vergangenheit, auch Agnostiker und Pioniere der Zivilgesellschaft (Christian Felbers "Herzgehorsam“ ist gar nicht lächerlich!) Wichtiges zum Thema Gehorsam bei. Selbst der Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal findet einen spezifischen Zugang: Ein Arbeitgeber in der Wirtschaft hätte die Unterzeichner eines Ungehorsams-Aufrufs fristlos entlassen können, dennoch sei die moderate Reaktion bis hinauf zum Papst "adäquat“ gewesen, weil die Ungehorsamspfarrer sich ausdrücklich auf die abgestufte Gehorsamsskala "Gott, dann Gewissen, dann Kirchenordnung“ berufen. Zu "erbitten im Interesse aller“ sei, dass beide Seiten Zumutbarkeiten nicht übertrieben.

Sowohl erfreuten wie besorgten Kirchenmitgliedern ist dieses Buch nicht nur zumutbar, sondern nachdrücklich zu empfehlen.

Ungehorsam

Hg. Rotraud A. Perner, Herbert Kohlmaier, Aaptos-Verlag 2012,

338 Seiten, geb. e 22,-

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