"Die Natur ist nicht an der Oberfläche"

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Hunderte zahlende Zuhörer bieten den lesenden Autoren ein bestens stimuliertes, bisweilen gar enthusiasmiertes Publikum: Das "Kulturenfestival" "Literatur & Wein" fand zum 16. Mal im Stift Göttweig und im Unabhängigen Literaturhaus Krems statt.

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Hunderte zahlende Zuhörer bieten den lesenden Autoren ein bestens stimuliertes, bisweilen gar enthusiasmiertes Publikum: Das "Kulturenfestival" "Literatur & Wein" fand zum 16. Mal im Stift Göttweig und im Unabhängigen Literaturhaus Krems statt.

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Dass ja Fastenzeit ist, denke ich, und dass das nagende Hungergefühl vielleicht besonders empfänglich für die Qualitäten von Julian Schuttings hintergründig feinziselierter Prosa macht. Alles strahlt und blüht, Sonne, Primeln, Gesichter, Forsythien, nur die Marille nicht, jetzt sind schon die Kirschen dran, der April war warm. Die geführte Wanderung "Literatur und Marille!" hat zwei Haken: es ist keine Wanderung, sondern bestenfalls ein Obstgarten-Spaziergang, und es gibt - zur Mittagszeit - nichts zum Essen. Auch zum Grünen Veltliner im Weinhof nachher gibt's kein Brot, man kann auch nichts kaufen, außer Marillensaft, Marillenbrand, Marillenschokolade. Die geistige Nahrung freilich hat es in sich, der Dichter, obwohl als zünftiger Wanderfex ebenfalls schmerzlich unterfordert, widmet sich mit Hingabe der Lachswanderung in Norwegen, während ich mit kulinarischen Assoziationen kämpfe; davor (besser hätte gepasst: danach, zuerst Weißwein, dann Rotwein) trägt Urs Mannhart eine Art Schweizer Bundesbahnblues von einigem Witz vor, Leiden am Kollektivverkehr à la Suisse: auf hohem Preis- und Reflexionsniveau.

Die gehaltvollen Erläuterungen von sympathischer Marillenbäuerin und sehr sympathischem Wanderführer gehen mich als Partizipantin einer Laaberger Marillenplantage (Ungarische Beste, drei Bäume, biennale Rekordernten) nur theoretisch etwas an, das Angebot zum Abhofverkauf werde ich sicher nie nutzen, aber ich lerne ein schönes Wort: greanoaschert. Weil sie in der Julihitze so rasant nachreifen, muss man die Marillen für den Straßenverkauf noch greanoaschert pflücken.

Lesegast als Pate eines Weines

II Grundsätzlich drängt sich die Begriffspaarung Kunst und Askese ja nicht unbedingt auf für "Literatur & Wein","das Original", wie das Macher-Team stolz betont; der gut durchfeuchtete Kunstgenuss, der im Stift Göttweig und im Unabhängigen Literaturhaus Krems (unabhängig von wem? das Rätsel bleibt ewig ungelöst) heuer zum 16. Mal über die Bühne ging, hat eingeschlagen und anderswo Nachahmer gefunden. Hunderte zahlende Zuhörer beleben die alten Gemäuer und bieten Autorinnen und Autoren ein bestens stimuliertes, bisweilen gar enthusiasmiertes Publikum. "Hamma scho gnua von da Literatur?", fragt Extremschrammel Roland Neuwirth die Zuhörer zu sehr später Stunde. Nein, erstaunlicherweise nicht. Nach ein paar Liedern - grandios der Oud-Spieler und Sänger Marwan Abbado - geht's weiter.

Dass die hochdosierte Einnahme von Alkohol der Produktion von Literatur nicht zuträglich ist, hat sich herumgesprochen. Mit der Rezeption dürfte sich das anders verhalten. Das eine oder andere Gläschen öffnet Ohren und Herzen, sorgt für einen hohen Aufnahme- und Toleranzpegel, was gut ist, denn das Cateringpersonal ist um einiges rescher als der Wein. Jeder "Lesegast" fungiert als Pate eines speziellen Weines, den er dann auch kredenzt bekommt (oder ist der Weinbauer, der auf der Bühne vorgestellt wird, Pate der Lesung?); der Schweizer Lukas Bärfuss musste zugeben, seinen Grünen Veltliner 2013 von Ludwig Gruber, Langenlois, nicht richtig würdigen zu können, weil bei ihm noch die Geschmacksnote Fisherman's Friend vorherrsche, aber, wie man in Bern sage: "Hauptsach', er fahrt."

Literatur mit Witz und Unterhaltungswert

III Aris Fioretos hat die perfekte Passage für Göttweig: Sie handelt von Marillenmarmelade, dem letzten von der Großmutter eingekochten Glas, das diese überlebt hat. Der Schwede mit griechisch-österreichischen Wurzeln philosophiert darüber, dass der Klang der "Marille" viel besser deren Geschmacksfülle vermittle als der der "Aprikose"."Literatur &Wein", das heißt auch Literatur mit Witz und Unterhaltungswert (Lorenz Langenegger, Tanja Maljartschuk), aber nicht: Literatur für den Massengeschmack. "Die halbe Sonne", Fioretos' "Buch über einen Vater" enthält traurige, komische, prägnante Miniaturen über Krankheit und Abschied. Connie Palmen widmet sich dem Sterben ihres Ehemannes. Robert Menasse erzählt die unglaubliche, aber wahre Geschichte jüdischer U-Boote im Amsterdamer Zoo 1944. Lukas Bärfuss entblättert die Vorgeschichte eines Selbstmordes. Thomas Glavinic geht in "Das größere Wunder" die ganz schweren Brocken an (Liebe und Mount Everest), liest bestens disponiert und perfekt getimt, ein kongenialer Begleiter dem Riesling Reserve 2012 von Johann Topf - meinem persönlichen Favoriten.

"Berichte zur schönen Welt. Wie schön ist diese Welt?" Das taugte als Subscriptio des Festivals und ist der Titel des von Klaus Zeyringer sanft autoritär moderierten Gesprächs zwischen dem ukrainischen Feuergeist Juri Andruchowytsch und der ORF-Korrespondentin Susanne Scholl, ein Dialog von seltener Informationsdichte und Differenziertheit. In seinen Skizzen aus dem Herzen der Majdan-Revolution schildert Andruchowytsch die furchtbare Aufgabe einer Helferin: vor dem Berg der Handys der Gefallenen zu sitzen, auf ein Klingeln zu warten und dann auf dem Display "Mama" zu lesen.

Seitenblicke zur Literatur in der Kunst

IV Vor dem Hintergrund des Wachauer Frühlings leuchten mir diese Sätze unmittelbar ein: "Die Natur ist nicht an der Oberfläche, sie ist in der Tiefe. Die Farben sind der Ausdruck dieser Tiefe an der Oberfläche. Sie steigen aus den Wurzeln der Welt auf, sie sind ihr Leben, das Leben der Ideen." Das Zitat von Paul Cézanne findet sich in der großartigen Ausstellung "Zurück in die Zukunft" in der Kunsthalle Krems. Zeichenkunst "Von Tiepolo bis Warhol" aus der Sammlung Klüser wird versprochen, tatsächlich beginnt der Parcours mit Parmigianino, hält Entdeckungen bereit wie Franz Kobells ideale Naturszenerien. Immer wieder ergeben sich Seitenblicke zur Literatur. Verblüffend die meisterlichen Landschaftsaquarelle Victor Hugos, noch verblüffender seine abstrakten Kompositionen: der Realist als Pionier der Klecksographie, wie auch George Sand, die in der Ausstellung ebenfalls vertreten ist. "Wie schön ist diese Welt?" Düstere Antworten gibt der Südafrikaner William Kentridge in seinen mit Kohle gezeichneten virtuosen Kurzfilmen. (Kunsthalle Krems, bis 22.6.)

V Die allerbeste literarisch-musikalische Festtagsstimmung entsteht aber nicht mit Hilfe von Wein, sondern von Sekt. Euphorischer Empfang der Wiener Tschuschenkapelle durch ein perlend gelauntes Stammpublikum bei der Sektmatinée im Literaturhaus. Ein Programm aus lauter Höhepunkten findet seine Coda mit leichterer - nicht seichterer -Kost. Zuerst der gebürtige Bosnier Sasa Stanisic mit seinem uckermärkischen Dorfroman "Vor dem Fest". Dann Dimitré Dinev mit einer, wie er meint, ökonomischen Wahnsinnstat, nämlich aus einem noch unveröffentlichten Roman zu lesen, weil die Leute nach einer Lesung immer nur das Buch kaufen, aus dem gelesen wurde. Es wird ein schönes, sacht ironisches Stück neuer altösterreichischer Literatur: ein Dienstmädchen geht ins Wasser und lässt sich von einem Leutnant retten.

Die wohl beste Lesung des Festivals liefert Stanis i´c, beflügelt von einem bosnischen Lied der Tschuschenkapelle: mit natürlicher Verve bringt er den verschwenderischen poetischen Einfallsreichtum, den Witz und die unangestrengte Tiefgründigkeit seines Romans über die Tücken des Gedächtnisses zum Leuchten. "Es wird zu lang", sagt er, "aber ich hab so Lust". Und liest noch ein Stückchen. Es ist diese Bereitschaft zum maßvollen Übers-Ziel-Schießen, zum dosierten Exzess, die "Literatur & Wein" auszeichnet. Ich bin sicher: Nach dem Fest ist vor dem Fest.

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