Dünn besiedelt, dicht vernetzt

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Die Festschrift des Gemeindebunds zum 60-Jahr-Jubiläum ist keine typische Festschrift - sie ist nämlich nicht fad! Das "Gemeindekomplott" leugnet die Probleme nicht und sucht nach Lösungen.

Problem 1: Es gibt Dinge, Aufgaben, Serviceeinrichtungen, die sich Gemeinden allein nur schwer oder gar nicht mehr leisten können. Lösung: Interkommunale Zusammenarbeit forcieren.

Bei der finanziellen Ausstattung der Gemeinden tut sich eine ungute Schere auf: Während die Einnahmen aus eigenen Steuern sinken, steigen die Ausgaben der Kommunen. Die höchsten Steigerungsraten gibt es im Bereich Straßen-, Wasserbau und Verkehr sowie im Bereich Soziales. Gerade deshalb stoßen Gemeinden immer öfter an ihre Leistungsgrenzen.

Der Gemeindebund-Generalsekretär Robert Hink bezeichnet in seinem Grundsatzartikel für die Festschrift "Das Gemeindekomplott" die interkommunale Zusammenarbeit mehr als je zuvor als ein "Gebot der Stunde". An das sich die Gemeindeverantwortlichen auch halten: Allein im Bundesland Oberösterreich gibt es mittlerweile rund 350 Projekte der interkommunalen Zusammenarbeit; Tendenz in ganz Österreich stark steigend, sowohl was die Anzahl, als auch die Vielfalt an Projekten über Gemeindegrenzen hinweg betrifft.

Im Bezirk Leibnitz teilen sich beispielsweise vier Gemeinden das Gemeindeamt und damit die Verwaltungskosten. Oder zwei Gemeinden im Bezirk Radkersburg haben erst vor kurzem ein gemeinsames Feuerwehrhaus eröffnet. Die Errichtung von gemeinsamen Gewerbe- oder Wirtschaftsparks ist ebenfalls stark im Vormarsch. Befürchtungen, die interkommunale Zusammenarbeit könnte in weiterer Folge zu einer Zusammenlegung von Gemeinden führen, haben sich nicht bestätigt. Gemeindezusammenlegungen sind auch nicht im Interesse des Gemeindebunds, der die Bedeutung jeder Gemeinde als Identitätsstifter hochhält.

Problem 2: Immer weniger Bürger wollen als Gemeinderäte oder Bürgermeister kandidieren.

Lösung: Frauen und zivilgesellschaftlich engagierte Menschen fördern.

Robert Hink, der Generalsekretär des Gemeindebundes, leidet an der Entfremdung der Bürger von ihren Gemeinden (siehe auch Interview "Wir müssen die Bürger wieder an Bord holen", Furche Nr. 29/07). Hink nennt den Anfang des Bürger-Selbstbewusstseins vor tausend Jahren eine "Verschwörung, die sie Kommune nannten"; seither gibt es das "Gemeindekomplott", nach dem die Gemeindebund-Festschrift benannt ist. Ganz im Sinne von Max Frisch, für den "Demokratie heißt, sich in seine eigenen Angelegenheiten einzumischen". Gerade an Menschen, die sich einmischen, mangelt es aber auf kommunaler Ebene. Gemeinde wird als etwas empfunden, zu dem die Bürger keinen Zugang haben, wo ihre Möglichkeiten mitzuentscheiden beschränkt sind: "Gemeinde, das sind oft nicht mehr wir, sondern die."

Als Folge stellen sich weniger Menschen für den Gemeinderat zur Verfügung. Was nicht ohne negative Folgen für den Bürgermeister-Nachwuchs bleibt, denn der Gemeinderat ist dafür die wichtigste Kaderschmiede. In Salzburg zum Beispiel stand bei den letzten Wahlen in jeder fünften Gemeinde nur noch ein Kandidat zur Verfügung. Die fehlende Konkurrenz wiederum lässt die Wahlbeteiligung zurückgehen, denn Wähler wollen Auswahl.

Wie rauskommen aus diesem Teufelskreis? Die Direktwahl von Bürgermeistern ist keine Lösung, analysiert Hink, der mehr davon hält, sich bei zivilgesellschaftlich engagierten Menschen und besonders bei Frauen auf Gemeinderätinnen- und Bürgermeisterinnen-Suche zu machen.

Problem 3: Ländliche Regionen abseits der Ballungszentren verlieren an Bevölkerung; fehlende Infrastruktur treibt diese Abwärtsspirale noch an. Lösung: Breitband-Technologie bis in die Talschlüsse.

In Österreich gibt es eine ungesunde Siedlungsentwicklung: Die Kernstädte verlieren an Bevölkerung. Das Umland wird zersiedelt. Die Randzonen leiden unter Bevölkerungsschwund. Die ländlichen Regionen kommen in Schwierigkeiten, weil die Grundversorgung nicht gesichert ist. - Soweit die Ist-Analyse von Sixtus Lanner, früherer ÖVP-Generalsekretär und nach wie vor "Mister Ländlicher Raum". Als größte Gefahr sieht Lanner "die aufkommende Resignation der ländlichen Bevölkerung und das Gefühl, hilflos einer Entwicklung ausgeliefert zu sein, die periphere Regionen ins Abseits drängt".

Um aus dem Abseits rauszukommen, verweist Lanner auf die Bedeutung der Verkehrspolitik: Als Beispiel nennt er die Schweiz, wo der öffentliche Verkehr "von Misthaufen zu Misthaufen" fährt und es auch in den entlegensten Gebieten eine gute Verkehrsanbindung gibt - der Erfolg spricht für sich: Im Schweizer Alpenraum steigt die Bevölkerung überdurchschnittlich stark.

Nur an der Verkehrsschraube zu drehen, wäre aber zu wenig, Lanner scheut sich nicht, für einen früheren Direktor des Bauernbundes unerwartete Töne anzuschlagen: Auch im ländlichen Raum muss sich die große Mehrheit der Beschäftigten eine Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft suchen. "Wer seine Politik daher nur auf die Landwirtschaft konzentriert, vernachlässigt wesentliche Interessen des ländlichen Raumes und seiner Bevölkerung." Lanner vertritt die Formel, dass dynamische Regionen in allen Bereichen wachsen, einschließlich der Landwirtschaft, schwache Regionen hingegen in allen Bereichen verlieren, besonders in der Landwirtschaft.

Die meiste Dynamik sieht Lanner in der Informationstechnologie; er rät deswegen sich an das finnische Motto zu halten: "Dünn besiedelt, dicht vernetzt!" Beim Ausbau der Breitbandtechnologie "gibt es noch viel zu tun". Um Lanners Vision von einem Land zu verwirklichen, in dem nicht mehr der Mensch zu seiner Arbeit fahren muss, sondern die Arbeit, das Studium, der Arzt … auf elektronischen Wegen zum Menschen gelangt. "Der Chip ist im Dorf und in der Stadt gleich schnell", meint Lanner und sieht damit eine große Chance für den ländlichen Raum, vom technologischen Wandel zu profitieren: Wenn die Menschen dort ihre Zukunft in die Hand nehmen; wenn für die Infrastruktur mehr als die Mindestausstattung zur Verfügung gestellt wird und wenn der ländliche Raum neben dem Reiz der Natur auch auf die Strahlkraft von Kulturinitiativen setzt.

Sollte Zukunftsforscher Peter Zellmann richtig liegen, erhalten der ländliche Raum und die Gemeinden dabei Unterstützung vom Zeitgeist: Nach der Flucht in die Sinne, diagnostiziert Zellmann, kommt die Suche nach dem Sinn: "Im Zeitvergleich ist nun plötzlich feststellbar, dass sich die Menschen wieder mehr für eine bessere Gesellschaft interessieren und auch mithelfen wollen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen. Die Menschen möchten gern in einer ausgeglichenen Balance zwischen Leistungs-, Genuss- und Sozialorientierung leben." Fazit des Zukunftsforschers: "Ein solches Plädoyer für mehr Gemeinsinn ist ein direkter Auftrag an eine innovative, mutige (post)moderne Gemeindepolitik."

DAS GEMEINDEKOMPLOTT

Gemeinsam sind wir stärker!

Hg. von Robert Hink

Styria Verlag Wien 2007

211 Seiten, geb.

Info unter: www.gemeindebund.gv.at

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