briefe - © Foto: © Harald Eisenberger

„Hitlers Vater“: die Provinzialität des Bösen

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Mit „Hitlers Vater“ legt der Historiker Roman Sandgruber eine faktenreiche Sozialgeschichte Oberösterreichs um 1900 vor. Dafür konnte er auch eine neue Quelle auswerten – 31 Briefe in Alois Hitlers akkurater Kurrentschrift.

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Mit „Hitlers Vater“ legt der Historiker Roman Sandgruber eine faktenreiche Sozialgeschichte Oberösterreichs um 1900 vor. Dafür konnte er auch eine neue Quelle auswerten – 31 Briefe in Alois Hitlers akkurater Kurrentschrift.

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Der Titel weckt Erwartungen: „Hitlers Vater. Wie der Sohn zum Diktator wurde“ heißt das neue Buch des Linzer Historikers Roman Sandgruber. Eine aufgedruckte Vignette verspricht: „Spektakulärer Quellenfund zu Hitlers Jugend“. Kommt hier etwa die Erklärung, an der sich Heerscharen von Historikern und Psychologen abgearbeitet haben? Kann der Autor die Genese des infamsten Verbrechers der Weltgeschichte erklären – aus der Beziehung zu dessen Vater?

In seiner autobiografisch grundierten Erzählung „Der Vater eines Mörders“ ließ Alfred Andersch den Vater Heinrich Himmlers auftreten, der als Direktor eines Münchner Gymnasiums die Schüler mit griechischer Grammatik quälte. Auch hier stellte der Titel einen Bezug zwischen Vater und Sohn her, genauer: zwischen der humanistischen Bildung des einen und der Unmenschlichkeit des anderen. Doch während Andersch auf Erinnerungen zurückgreifen und daraus eine fiktionale Erzählung formen konnte, müssen Historiker sich an die dokumentierten Fakten halten.

Was Hitlers Vater angeht, sind diese dünn gesät: 1837 im Waldviertel als uneheliches Kind geboren und auf den Namen Alois Schicklgruber getauft. Nach Volksschule und Schusterlehre 1855 Übersiedlung nach Wien und Eintritt in die k.k. Finanzwache, in der er vierzig Jahre diente, davon die meiste Zeit in Oberösterreich. Beamtenkarriere bis zum Zollamts-Oberoffizial. 1876 postume Anerkennung der Vaterschaft des Müllergesellen Johann Georg Hiedler und Namenswechsel zu „Hitler“. Drei Ehen, aus denen insgesamt vier Kinder das Erwachsenenalter erreichten. 1895 Pensionierung und Erwerb des Rauscherguts in Hafeld (Gemeinde Fischlham). 1897 Verkauf desselben und Übersiedlung nach Leonding. 1903 plötzlicher Tod durch „Lungenblutung“. Aus den spröden Daten lässt sich die Geschichte eines sozialen Aufstiegs herauslesen, nicht untypisch für das 19. Jahrhundert und in keiner Weise geschichtsträchtig, wäre da nicht der furchtbar missratene Sohn aus dritter Ehe.

Uneheliches Kind

Die Spärlichkeit der Quellen hat allerhand Spekulationen genährt, angefangen mit der These, der unehelich geborene Alois sei Sohn eines Juden und der spätere Judenverfolger somit selbst jüdischer Abkunft gewesen. Dass es dafür keinen Anhaltspunkt gibt, betont auch Sandgruber, der zudem daran erinnert, dass uneheliche Kindschaft damals eher die Regel war als eine Ausnahme. Er ist vielen Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten, die in der Hitler-Biografik seit Jahrzehnten tradiert werden, auf den Grund gegangen und kann manches Detail richtigstellen: So etwa, dass Alois’ Mutter Maria Anna Schicklgruber eine etwas ältere Schwester namens Anna Maria hatte, mit der sie oft verwechselt wird. Oder dass der Zollbeamte seine erste Ehe bereits 1864 und nicht, wie zumeist behauptet, 1873 einging.

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