6534791-1946_10_07.jpg
Digital In Arbeit

Im memoriam

Werbung
Werbung
Werbung

Der Meister einer umfassenden bedeutenden Epoche der deutsdien Chirurgie, der unerreichte Lehrer und Begründer einer lange Zeit beherrschenden Schule, der unentwegte Künder des ärztlidien Ethos — die Grabschrift der Nachwelt, die dem Hügel Anton von Eiseisbergs für immer zum Zeichen wird, gilt dem Manne, dessen jähem Erlöschen in einer Zeit der geistigen Vergewaltigung und moralischen Zerrüttung die Trauer und das dankbare Erinnern versagt wurde.

Das wiedererwachte Österreich steht in treuer, unveränderter, stolzer Verehrung an diesem Grab, das einen seiner wahrhaft größten Söhne birgt. Unter den Namen der Chirurgen von ganz großem Format klingt jener von Eiseisbergs mit an erster Stelle. Was er in seinem Fachgebiet an Neuem geschaffen, hat Bestand. Vieles, was er vorbereitet oder vorausgesehen, wurde Wirklichkeit. Das hinreißende Pathos seiner Persönlichkeit lebt noch als Ziel und Mahner für unsere Generation.

Was ihm das Leben zutrug, wie es ihn formte, wie er es meisterte, die neuen Wege, die Glücksfälle, die Hemmungen, Ehren und Würden, Sorgen und aufreibende Kämpfe — all das hat ei in nüchterner Sachlichkeit und manchmal erschütternder Offenheit in seinen „Erinnerungen“ festgehalten. Dort findet ich auch seine berühmte Abhandlung über die Euthanasie, die Erleichterung des Todes bei einem Sterbenden und die schonende Tötung von Schwerkranken. In überzeugender wissenschaftlicher Klarheit und in höchster Menschlichkeit wird dieses bedeutungsvolle Problem behandelt, alles Für und Wider erwogen, alle Zweifel geprüft. Und gerade hier entschleiert sich das innerste Wesen dieses wahren Arztes, der einer so verworrenen, durch keinerlei intellektuelles Argument entscheidbaren Frage eine tief religiöse Überzeugung entgegenhält.

Die wissenschaftliche Bedeutung von Eiseisbergs, die besonders in seinen experimentellen Arbeiten über die Schilddrüse, über die Epithelkörperchen, über die Erkrankungen des Magens beruht, zeigt ihn auch als den Mitbegründer der modernen Neuro-Chirurgie und als einen hervorragenden Vertreter der plastischen Chirurgie. Aber es ist für ihn besonders bezeichnend, daß er kein Gebiet seines Faches abseits liegen ließ. An seiner Klinik wurde die Behandlung der Knochenbrüche unter kritischer Würdigung der gerade in dieser Zeit zahlreichen neuen Vorschläge in vollkommener Systematik und mit bestem Erfolge durchgeführt. Darin zeichnete sich, von Eiseisbergs Klinik gegenüber vielen anderen diirurgischen Kliniken, namentlich in Deutsdiland, aus, für die die Frakturenbehandlung auf einem Nebengeleise lag.

Diese Universalität von Eiseisbergs offenbarte sich auch in seinem besonders betonten Verantwortungsgefühl, den ärztlichen Nachwuchs gerade in den Fragen der täglich notwendigen Hilfeleistungen verläßlich zu unterrichten, in seinem unermüdlichen Bestreben, den medizinischen Unterricht zu bessern, die Forschungs- und Lehrmittel dem neuesten Wissen anzupassen, die Pflege der Kranken auf das beste erreichbare Maß zu heben und vor allem das ethische Niveau des ärztlichen Standes zu erhalten.

Härte gegen sich selbst, Verstehen und Güte gegenüber den ihm Anempfohlenen, unersättlicher Forschungsdrang, unerbittliche Selbstkritik, Forderung nach Sauberkeit und Form, völlige Hingabe an seine Kranken, Sehnsucht und Griff in die Fernen . .. und alles überstrahlt vom Adel einer aufrechten, männlichen Menschlichkeit — diese Züge schufen den Arzt und den Lehrer, den Forscher, der mit fast allen führenden Männern der Chirurgie und den meisten der übrigen medizinischen Fächer persönlich vertraut war, der mit vielen großen Geistern seiner Zeit in Beziehungen stand. Und dieses bewegte äußere Geschehen ruhte auf einem Familienleben von seltener Harmonie und Innigkeit. Auch das war ein-Geschenk in diesem besonders glückhaften Dasein.

Von Eiseisberg war ein Österreicher. Er hat es nie verleugnet. Er hat diesem Staat im Frieden und im ersten Weltkrieg mit aller Treue und aller Hingebung gedient. Er litt schwer unter dem Zusammenbruch des Jahres 1918. Aber er stand zum neuen Österreich in gleicher Entschlossenheit, in gleicher Hingebung. Die Jahre des Entsetzens blieben ihm erspart. Das Schidisal nahm ihn von der Bühne in ungebrochenem Wachsein, in gläubiger Hoffnung. Er blieb die Lichtgestalt, die er zeitlebens gewesen ist. Sein Schatten flammt noch von der . Helle, die dieses einmalige Dasein überstrahlte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung