7132283-1997_31_09.jpg
Digital In Arbeit

Kulturen im Schmehtiegel

19451960198020002020

Die Goldschätze der Azteken und das, was die Spanier daraus machten, zeigt das Kunsthistorische Museum Wien.

19451960198020002020

Die Goldschätze der Azteken und das, was die Spanier daraus machten, zeigt das Kunsthistorische Museum Wien.

Werbung
Werbung
Werbung

Der aztekische Gott Xipe-Totec, Schutzpatron der Goldschmiede, hatte einen grausigen Geschmack: Den jungen Kriegsgefangenen, die ihm im Zuge eines rituellen Kampfes geopfert wurden, wurde die Haut von den Knien bis zum Gesicht abgezogen. Dann schlüpften Priester in die umgestülpten I läute, an der noch die Hände des Opfers baumelten, und streiften 20 Tage lang in diesem Aufzug durch die Stadt. Dabei bettelten sie um Essen und Gaben für ihren Gott. 1519 jedoch scheint Xipe-Totec keinen Gefallen an der Zeremonie gefunden zu haben: Acht Monate nach dem blutrünstigen Ritual erreichte der spanische Eroberer Hernan Cortes mit 600 Soldaten Tenochtitlän, die Hauptstadt des Aztekenreichs, und sollte binnen weniger Jahre fast die gesamte Produktion der aztekischen Goldschmiede vernichten.

Kurz nach seiner Ankunft nahm Cortes den König der Azteken, Mocte zuma II., gefangen und plünderte den Königspalast sowie den Tempelbezirk. Die zusammengerafften Goldschätze wurden an Ort und Stelle eingeschmolzen und zu schmalen, länglichen Goldbarren verarbeitet, die gut zu transportieren waren. Am 50. Juni 1520 erhoben sich die Einwohner von Tenochtitlän, dem heutigen Mexiko-Stadt, und schlugen die Spanier (vorübergehend) in die Flucht. Dabei kam ein großer Teil von Cortes' Männern um: Über und über mit Goldbarren behängt, wurden sie von den wütenden Azteken eingeholt und massakriert, oder sie ertranken vom Gewicht des Goldes nach unten gezogen in den Fluten jenes Sees, der Tenochtitlän umgab.

Einer dieser Goldbarren ist derzeit in der Ausstellung „Gold und Silber aus Mexiko” im Kunsthistorischen Museum Wien zu sehen; der zwei Kilogramm schwere, geschichtsträchtige Rarren war zufällig bei Rauarbeiten in Mexico City entdeckt worden. Er verkörpert die Eroberung Mexikos und die Zerstörung der indianischen Kultur, er ist ein Sinnbild jener brutalen Verschmelzung von indianischer und spanischer Kultur, die letztendlich zur Entstehung der mexikanischen Nation geführt hat. Und er ist das Rindeglied zwischen den zwei Teilen der Wiener Schau: Im Zentrum des großen Ausstellungsraumes sind Schmuckstücke und Kultgegenstände aus der Zeit vor der spanischen Eroberung zu sehen. Solche Objekte sind äußerst rar, denn die Spanier zerstörten die indianische Hochkultur systematisch: Die Schriften wurden verbrannt, die Tempel zerstört. Und alles, was aus Edelmetall war, wurde eingeschmolzen und weiterverarbeitet. Was daraus geworden ist, zeigt der zweite Teil der Ausstellung: christliche Kultgegenstände wie

Kreuze, Monstranzen, Hostienbehälter oder Kelche.

In allen alten Kulturen auf dem Gebiet des heutigen Mexiko war das Gold wegen seines Aussehens und seines Glanzes ein Symbol für die Sonne, die allerhöchste Gottheit. Die Azteken glaubten, daß das Gold der Schweiß der Sonne sei. Das Tragen von Goldschmuck war daher nur Angehörigen der Adelsschicht erlaubt.

Könige schmückten sich mit reich verzierten Diademen, die den Kronen der europäischen Könige durchaus ebenbürtig waren. Jenen Adeligen, die sich im Kampf hervorgetan hatten, war das Privileg zuerkannt, Lippen-pflöcke zu tragen: Aus einem Schlitz unterhalb der Unterlippe ragte ein Zylinder, der innen von zwei seitlich abstehenden Zapfen festgehalten wurde. Das sichtbare Ende war mit Edelsteinen, Anhängern oder Köpfen von Göttern und Tieren geschmückt.

Ringe, Arm- und Reinschmuck waren ebenso in Mode wie Colliers. Die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zeigt unter anderem ein Mixtekisches Goldcollier, das aus den Nachbildungen menschlicher Zähne besteht. Die Resonderheit dabei: Die Zähne weisen künstliche Längsrillen auf. Tatsächlich war die sogenannte Zahnmutilation in Mesoamerika weit verbreitet: In die Schneidezähne wurden Löcher gebohrt und Rillen geschliffen, die mit perfekt angepaßten Plättchen aus Gold, Jade oder Türkis gefüllt wurden.

Es waren die Mixteken, die in der Goldschmiedekunst die größte Kunstfertigkeit aller mesoamerikanischen Völker entwickelten. Sie beherrschten die Technik des „falschen Filigran”, die den Eindruck einer Stickerei aus feinen Metallfäden erweckte. Sie entwickelten auch den „Guß in verlorener Form”. Rei diesem Verfahren wurde der Hohlraum im Inneren der Objekte möglichst groß gehalten, wodurch wertvolles Metall eingespart wurde.

Auch eines der wertvollsten erhaltenen Schmuckstücke der prähispanischen Kulturen ist im Kunsthistorischen Museum zu sehen: ein mixtekisches Pektorale (Rrustschmuck) in Form eines Kriegerschildes mit Pfeilen und Standarten, die vom hohen Rang des einstigen Trägers zeugen. Auch dieses Reutestück war zum Einschmelzen bestimmt; auf den Standarten befinden sich schon Punzie-rungen mit dem Monogramm des Habsburgerkaisers Karl V., der damals auch König von Spanien war. Doch das Schiff, das es zusammen mit anderen Schätzen nach Europa bringen sollte, sank 1528 vor Veracruz. Bis 19. Okiober

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung