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Sylvia M. Patsch über den Enthüllungsroman "Das Erbe" von Maria Czedik-Eysenberg.

Ausgelöst wurde die Neugier durch eine ungewöhnliche Buchpräsentation: Da steht der Verlags-Repräsentant eines Wiener Kleinverlags im Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek, einem Betraum des ehemaligen Augustinerklosters, das zu Monarchie-Zeiten der kaiserlichen Familie als intimes Speisezimmer diente. Und schwärmt: Er habe ein Manuskript erhalten, das ihn eine ganze Nacht nicht losgelassen habe. Er habe es herausbringen müssen: "Das Erbe", einen Roman von Maria Czedik-Eysenberg. Unbekannt als Autorin. In der ersten Reihe sitzt eine zierliche Mittsechzigerin. Da flüstert mir mein Nachbar zu, die Dame sei 84. Ein bekannter Wiener Literaturkritiker, bis vor kurzem Chefdramaturg des Volkstheaters, liest Kostproben aus dem Buch. Es scheint von einer Enddreißigerin zu handeln, die zum Begräbnis ihrer Mutter aus Mailand nach Wien gerufen wird. Die Mutter war viele Jahre von ihrem wohlhabenden italienischen Schwiegersohn finanziell unterstützt worden - und jetzt erfährt die Tochter, dass diese ihr fremde Mutter eine sehr reiche Frau war. Subtil wird von einer allmählich immer leerer werdenden kinderlosen Ehe erzählt, aus der die Erbin nun ausbrechen kann. Spannend, psychologisch fein vernetzt. Oliver vom Hove, dramaturgisch erfahren, hat offenbar den roten Faden des Buches gefunden. Dann bittet er die Autorin aufs Podium, und da passiert es: Er macht eine Feststellung, sie widerspricht, humorvoll, aber nachdrücklich. Nein, sie sehe als Hauptthema ihres Buches nicht die Ehegeschichte, sondern das Erbe, das nicht nur viel Geld, sondern auch ein Bassenahaus im 17. Wiener Gemeindebezirk umfasst. Die Leute in diesem Substandardhaus, die hätten sie interessiert. Der Kampf zwischen dem Kritiker und der Autorin wird zwar freundlich, aber so hart geführt, dass er zur Lektüre zwingt. Ergebnis: Frau Czedik hat Recht. Was sie in einem Alter schöpferisch geleistet hat, in dem viele andere kaum mehr den Alltag in den Griff bekommen, ist ein meisterlicher Enthüllungs-Roman. Das einzig Sichere auf dem schwankenden Terrain dieses Buches ist, das nichts so ist, wie es zunächst scheint.

Eine schwache, unsinnliche junge Frau erweist sich als leidenschaftlich und mitleidensfähig. Die Autorin lässt den Leser an einer Charakterentwicklung teilhaben, die aus einer mäßig sympathischen Figur einen Menschen macht, mit dem er mitzuleben beginnt. Frau Czediks Bassenahaus-Mikrokosmos entpuppt sich als Spiegel Österreichs und darüber hinaus als Skurrilitäten-Kabinett, in dessen Mittelpunkt eine alte Kommunistin steht, Vertrauensperson für Deix-Figuren und Aussteiger.

Von der alten kommunistischen Ärztin im Bassenahaus heißt es: "Beschämt musste sie sich eingestehen, dass sie zwar mit äußerer Anteilnahme zuhörte, doch ihr Herz war nicht dabei. So war es also, wenn man alt wurde. Die Dinge rund um einen begannen gleichgültig zu werden. Sie fragte sich, ob es überhaupt noch etwas gab, das sie bewegte. Die Briefe ihres Sohnes, die Fotos seiner Kinder, ihrer Enkelkinder? ... Nein, eigentlich war ihr auch die Familie ihres Sohnes gleichgültig. Und die Partei? Die war doch einmal ihr Leben gewesen? Die hatte sich geändert und würde sich weiter ändern, ganz gleich, ob es sie gab oder nicht ... Sie hatte keine Zukunft mehr. Und ihre einzige Aufgabe schien darin zu bestehen, ihre Rolle hier im Haus weiterzuspielen." Sie tut es bis zu ihrem Tod, indem sie etwa der Erbin den Mut zur Wahrheit stärkt. Kein Mensch kann zur Elternliebe gezwungen werden, sagt sie der von Schuldgefühlen gegenüber ihrer Mutter Geplagten: "Sei keine Heuchlerin. Worin liegt deine Schuld, wenn du jemanden, egal wen immer, nicht magst. Du kannst dir Vorwürfe machen, wenn du deiner Pflicht nicht nachgekommen bist, dem anderen nicht geholfen hast, aber Liebe kann dir kein Mensch abverlangen."

Dramatisch ist dieser Roman, ohne zu einem Action-Thriller zu verkommen. Tragisch ist sein Schluss, und doch nicht hoffnungslos. Nach der Lektüre glaubt man die handelnden Personen zu kennen, so lebendig weiß Maria Czedik-Eysenberg Dialoge zu schreiben, mögen sie nun im Wiener Vorstadt-Milieu spielen oder in den so genannten besseren Kreisen: Was für ein feines Ohr! Welch stilistische Findigkeit, etwa bei Telefonaten nur die Aussagen einer Person zu schreiben und die Antworten und Einwürfe der Gegenseite der Phantasie des Lesers zu überlassen. Und welche Kenntnis in Liebesdingen: Wann hätte man die "Erweckung" einer reifen Frau zur ungehemmten Leidenschaft überzeugender gelesen? Ein weises Buch, geschrieben mit leichter, lebenskluger Hand. Phänomenal.

Das Erbe

Roman von Maria Czedik-Eysenberg

Czernin Verlag, Wien 2005

160 Seiten, geb., e 21,40

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