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„Nett, daß Sie kommen!“ sagte der berühmte Schriftsteller, indem er seine leicht verfettete Gestalt ein wenig aus dem Sessel hob und dem armen, jungen Autor flüchtig die Hand drückte. „Was führt Sie zu mir? Ich bin noch beim Frühstück, bitte, greifen Sie doch gleichfalls zu!“

Der arme, junge Dichter, mager wie eine entlaubte Pappel und hungrig wie ein Steppenwolf, nahm unter Zurückhaltung von der reichhaltigen kalten Platte, während ihm der berühmte und erfolgreiche Kollege Tee eingoß.

„Sie hatten die große Freundlichkeit, meinen Roman zu lesen“, sagte der Besucher und sah den Berühmten mit gramumflorten Augen an, die auf Grund einer Schilddrüsenüberfunktion leicht hervorquollen. „Sie haben mir Ihr Urteil in einem kurzen Brief mitgeteilt.“

Der berühmte Mann verbarg mit Mühe Verdrossenheit und Unmut. „Ach ja, dieser Roman!“ sagte er unbestimmt, „es sind begabte Passagen darin gute Ansätze... zweifellos. Indessen, mein Freund, es braucht viel Zeit. In Geduld und Demut reifen lassen! Nichts überhasten, immer neu durchdenken ... viel lesen, beobachten, schreiben, feilen .., und das

Klischee und die Konvention vermeiden! Das Neue — das andere bringen... verstehen Sie wohl?“

„Ihr Urteil war wirklich vernichtend“, sagte kauend und niedergeschlagen der junge Autor, und nippte an seiner Teetasse, „ich hatte das nicht so erwartet. Es warf mich beinahe um.“

Der Berühmte griff nach einer Schinkensemmel. „Vielleicht war ich etwas hart in meinem Urteil!“ sagte er nebenhin. „Sie sollten das nicht so wörtlich nehmen. Man muß das vertragen. Am Widerstand wachsen — verstehen Siel Ich stecke in vielerlei Arbeiten, Aufträge, eine neue Artikelserie... offengestanden, es fiel mir schwer, mich auf anderes zu konzentrieren!“ Er leerte geräuschvoll ein Likörglas.

„Da ist jene Szene im Keller!“ begann der junge Autor mit leidendem Gesichtsausdruck, „diese Szene zwischen der Heldin und jenem gewalttätigen Hüchtling... Sie erinnern sich? Mir schien das jähe Umschlagen der Stimmungen, die Charakterisierung, das Gegensätzliche zweier Welten nicht übel gelungen ... Sie erinnern sich doch?“

„Die Szene im Keller?“ sagte der berühmte Mann zerstreut, ..ach doch, da sind Ansätze . . . Möglichkeiten... immerhin.“ Plötzlich wandte er dem Besucher voll sein fleischiges, gutmütiges Gesicht zu. „Ich will offen sein, mein Freund!“ sagte er, „ich kam nicht dazu, Ihren Roman selber zu lesen. Es war mir beim besten Willen nicht möglich. Ich gab ihn meiner Frau, die ein ganz hervorragendes Beurteilungsvermögen besitzt — da kommt sie gerade!“

Wirklich betrat in diesem Augenblick die Gattin des Erfolgreichen, in blauem Morgenmantel und aus dem Bade kommend, das Zimmer. Sie war mit ihren Fingernägeln und ihrer Frisur beschäftigt und sagte indigniert: „Pardon — ich wußte nicht, daß du Besuch hast!“

„Bleibe doch!“ rief der Erfolgreiche, und der junge, magere Dichter beeilte sich, der Dame die Hand zu küssen. „Du lasest doch den Roman unseres begabten jungen Freundes hier. Da ist er nun selber!“

„Ach, der Roman!“ sagte die Dame und lächelte unergründlich, „mein Mann hat Ihnen sicher darüber geschrieben, wie? Geben Sie nicht soviel darauf! Übrigens, um ehrlich zu sein, ich habe Ihr Manuskript nicht gelesen. Ich kam nicht dazu. Wir hatten eine kleine Gesellschaft, Verleger und Redakteure, eine Menge Leute, dann mußte ich ein paar Artikel für meinen Mann kopieren, und außerdem fühlte ich mich nicht sehr gut. Da gab ich das Manuskript Elise, unserem Mädchen, die einen so unverbildeten und ursprünglichen Geschmack hat und geistig nicht überlastet ist. Sie hat mir ihre Eindrücke dann geschildert, so war das!“

„Na, höre!“ rief der bekannte Schriftsteller ärgerlich, „was soll denn das? Du gabst den Roman unseres Freundes dem Mädchen zur Beurteilung? Das ist doch stark!“

„Hättest du ihn doch selber gelesen!“ antwortete die Dame nicht ohne Schärfe, mit ihren Haaren beschäftigt, „ich bin leider nicht selbst dazu gekommen.“

Da trat Elise ins Zimmer, um den Frühstückstisch abzuräumen, ein frisches, ländlich anmutendes, hübsches Geschöpf.

„Elise!“ rief der Hausherr ärgerlich und verstimmt, „ist es wahr, daß Sie das Romanmanuskript dieses Herrn hier gelesen haben?“

„Ehrlich gesagt, nein!“ gab das Mädchen, verlegen lachend, zurück, „ich bin nicht dazu gekommen. Wir hatten doch gerade Wäsche, dazu einen Rohrbruch, der Hund mußte zum Tierarzt, Gäste waren angesagt... da habe ich das Heft dem Mann gegeben, der immer die Kohlen bringt und es bei mir in der Küche liegen sah...“

„Was?“ rief der erfolgreiche Schriftsteller mit angeschwollenen Halsadern heiser aus, „dem Kohlenhändler haben Sie das Manuskript gegeben? Ist das nicht ein Pole?“

„Das schon“, erwiderte Elise eingeschüchtert, „aber er lebt doch schon vier Jahre hier, spricht annehmbar gut Deutsch und wollte den Roman zu Leseübungen mit seinen Landsleuten im Emigrantenklub verwenden

„Nun aber Schluß!“ rief der Erfolgreiche wütend, „das ist ja unerhört! Wem wird der

Kohlenlieferant seinerseits das Manuskript wohl zur Beurteilung gegeben haben? Machen Sie rasch, daß Sie hinauskommen, Elise!“

Verstört verschwand das Mädchen.

„Ich verstehe dich wirklich nicht!“ sagte der Hausherr verdrossen zu der Gattin, die immer noch mit ihrem äußeren Aufzug beschäftigt war, „du gibst das Manuskript an das Mädchen, die gibt es dem Kohlenhändler, der will's im Emigrantenklub verwenden ...“ Er wandte sich verärgert dem jungen Autor zu. „Das Ganze ist mir furchtbar peinlich!“ sagte er, „es handelt sich hier offenbar um eine verhängnisvolle Verkettung widriger Umstände. .. dergestalt muß natürlich mein Urteil als von höchst ungewissem Wert erscheinen!“

, Der junge Mann nickte traurig. Aber in eine hervorquellenden Augen schlich ein Anflug gewisser Pfiffigkeit. „Sehr bedauerlich“, sagte er leise, „bedenken Sie nur, ich hätte meine Fassung gänzlich verlieren, mir etwas antun können! Das wäre Ihnen doch sicher nicht angenehm gewesen, nicht? Uud nur, weil der Kohlenlieferant vielleicht doch nicht so weit im Deutschen vorgeschritten ist!“

„Ein ganz unmöglicher Vorfall I“ gab der große Mann betreten und verärgert zu.

„Dennoch fühle ich mich sehr erleichtert“, fuhr der junge Autor lächelnd fort, „Sie müssen nämlich wissen, nach Ihrem Brief warf ich sämtliche Manuskripte des Romans fort und war verzweifelt. Aber mein Zimmernachbar, ein Tierimitator und Kabarettist, zog eins davon aus dem Abfallkübel und las es aus Langeweile, denn er ist engagementslos. Es gefiel ihm, er brachte es zu einem befreundeten Filmregisseur. Der las es auch. Was soll ich sagen — das Manuskript gefiel! Es ist angenommen worden und wird verfilmt. Ich möchte eigentlich hier meinen Dank abstatten, da Sie doch ..., wenn auch auf Umwegen, gewissermaßen...“

„Wie? — Man verfilmt Sie?“ rief die Gattin des Erfolgreichen und wandte sich dem schäbigen, jungen Menschen mit plötzlichem Interesse zu.

„Ich gratuliere!“ sagte der Erfolgreiche, und überwand seinen jäh aufflammenden Berufsneid, indem er dem armen Burschen die Hand mit Heftigkeit drückte. „Sie sehen, wie recht ich habe, wenn ich behaupte, daß es nur darauf ankommt, daß eine gute Sache in die richtigen Hände gerät!“

„Der Regisseur übrigens war sehr verwundert, daß Ihr Urteil so negativ ausgefallen war“, sagte lächelnd der junge Autor. „Ein dummer Zufall wollte, daß ich gerade in jenem Manuskript Ihr Schreiben stecken ließ. Doch möchte ich mich jetzt mit nochmaligen Dank empfehlen!“

Er verabschiedete sich eilig und ging, und unfreundliche Blicke folgten ihm nach.

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