zeemann - © Foto: Heidi Heide

Anna Baar über Dorothea Zeeman: Spurenversuche

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Die Schriftstellerin Anna Baar nähert sich im Rahmen von "Autorinnen feiern Autorinnen" dem Leben und Werk von Dorothea Zeemann, deren Todestag sich 2023 zum 30. Mal jährt. Auszug aus der Festrede, die am 3. Mai im Wiener Rathaus gehalten werden wird.

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Die Schriftstellerin Anna Baar nähert sich im Rahmen von "Autorinnen feiern Autorinnen" dem Leben und Werk von Dorothea Zeemann, deren Todestag sich 2023 zum 30. Mal jährt. Auszug aus der Festrede, die am 3. Mai im Wiener Rathaus gehalten werden wird.

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Es ist Krieg in Europa. Die Meldungen zum Tag: Situationsschilderung aus einem Flüchtlingslager. Russland steht vor den ersten freien Parlamentswahlen. Weitere Themen heute: Die heiße Spur nach Deutschland in Sachen Briefbombenserie. Es soll Verbindungen geben zur Neonaziszene, entsprechende Zeugenaussagen. FPÖ-Bundesparteitag: „Inländerfreundlichkeit“ lautet das neue Schlagwort. Persönliche Freiheit, sagt FPÖ-Chef Jörg Haider, habe dort ihre Grenzen, wo die des anderen beeinträchtigt werde. Es folgt die Kultur im „Mittagsjournal“ mit Herbert Dobrovolny. Und ein längerer Nachruf von Günter Kaindlstorfer auf Dorothea Zeemann. Man schreibt den 11. Dezember 1993.

„Derzeit nicht verfügbar“

Dreißig Jahre später. Dorothea Zeemann ist „derzeit nicht verfügbar“ und „derzeit nicht auf Lager“, ihre Bücher sind heute zum Großteil vergriffen. Einige bekommt man nur noch antiquarisch – Mängelexemplare, oft zu Liebhaberpreisen. Zu einer Lebensbeschreibung hat sich bisher, wie es scheint, noch niemand durchgerungen. Wie aber konnte eine, der freundlich nachzurufen dem Österreichischen Rundfunk mehrere Minuten bester Sendezeit wert war, so rasch ins Vergessen rücken? Ob man sich in ihr getäuscht hat – damals schon, oder heute? War ihr Ansehen auf Zeit gar nicht dem Schreiben geschuldet, sondern dem Naturell der freundlichen „Grand old Lady“ der örtlichen „Künstlerszene“? War die Zeemann womöglich eine Art Wiener It-Girl, hauptsächlich dafür bekannt, in Kreisen zu verkehren, denen anzugehören zu ihrer Zeit als Verdienst galt?

Günter Kaindlstorfer sagte im Radionachruf, sie sei in der Literatur „keine ganz Große“ gewesen – und schloss doch mit der Bemerkung, die heimische Kultur sei nun um eine originelle, bedeutende Persönlichkeit ärmer. Liebenswert sei sie gewesen, scheinbar immer fröhlich. Und ich wollte schwören, die Gemeinte zu kennen, als ich sie dieser Tage in einem Radioporträt anlässlich des Erscheinens ihres Romans „Eine Liebhaberin“ zu ihrem achtzigsten Geburtstag munter plaudern hörte, in der vertrauten Mundart eingesessener Wiener, dieser charmanten Melange aus Eleganz und Direktheit. Mir schien zuweilen sogar, ihr begegnet zu sein in Gestalt jener anderen, die mir einst so lieb war und heute noch, wie keine andere, für mein Wiener Daheim steht. Dieses gewaltige Wien der, wie sie André Heller einmal treffend nannte, „Küssdiehandmarionetten“, mein Taschenfeitlwean der gnädigen Damen und Herren, Grantscherm und Gschaftlhuawa, zauberisch im Glanz eines morbiden Dünkels und eines ererbten Genius, der immerzu unterschätzt wird: Hanni, die patente, bodenständige Tante aus dem sechsten Hieb – ein Ausbund an Mütterlichkeit, heiter und gebefreudig, obwohl sie nicht viel besaß und wenig zu lachen hatte.

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