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Repräsentation und Sicherheit

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Die Internationalen Musikfestwochen von Luzern gehören zu jenem Typ von Festspielen, über den schwer zu reflektieren ist. Sie dienen dem Genuß und der Besinnung: Beides ist auf seiten des Publikums anzutreffen und nicht immer abhängig von höchster Qualität. Daß die Veranstalter sich um Qualität bemühen und zumindest die obere Grenze des Durchschnitts auch meist erreichen, sei unbestritten, aber die für ein Fest, für eine Ausnahmesituation bestimmenden Komponenten treffen selten zusammen. Herbert von Karajan und das Berliner Philharmonische Orchester steuerten zwei wirkungsvolle Standardprogramme (Bach-Tschaikowsky und Bartok-Brahms) bei; gleichzeitig wurde dem Dirigenten der Kunstpreis der Stadt Luzern zugesprochen, den er an das Konversatorium zur Förderung junger Talente weitergab. Das ist zweifellos eine gute Tat, lag aber auch irgendwie nahe. In Luzern mündet alles, auch die Offenheit nach außen, in den ruhigen Tritt nationaler Selbstbewußtheit. Töne von Infragestellung des eigenen Tuns (nicht nur von Selbstkritik) sind kaum zu hören.

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Die Internationalen Musikfestwochen von Luzern gehören zu jenem Typ von Festspielen, über den schwer zu reflektieren ist. Sie dienen dem Genuß und der Besinnung: Beides ist auf seiten des Publikums anzutreffen und nicht immer abhängig von höchster Qualität. Daß die Veranstalter sich um Qualität bemühen und zumindest die obere Grenze des Durchschnitts auch meist erreichen, sei unbestritten, aber die für ein Fest, für eine Ausnahmesituation bestimmenden Komponenten treffen selten zusammen. Herbert von Karajan und das Berliner Philharmonische Orchester steuerten zwei wirkungsvolle Standardprogramme (Bach-Tschaikowsky und Bartok-Brahms) bei; gleichzeitig wurde dem Dirigenten der Kunstpreis der Stadt Luzern zugesprochen, den er an das Konversatorium zur Förderung junger Talente weitergab. Das ist zweifellos eine gute Tat, lag aber auch irgendwie nahe. In Luzern mündet alles, auch die Offenheit nach außen, in den ruhigen Tritt nationaler Selbstbewußtheit. Töne von Infragestellung des eigenen Tuns (nicht nur von Selbstkritik) sind kaum zu hören.

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Der Hinweis auf alle möglichen Jubiläen im Rahmen der Festwochen und der Meisterkurse möchte eine institutioneile Beständigkeit untermauern, die einem recht verstandenen Festwochengeist eher im Wege ist. Es wäre vielleicht an der Zeit, den Gedanken durchzusetzen, daß Festivals in jedem Jahre ihre Notwendigkeit unter Beweis stellen müssen. Das einfache Weitermachen führte etwa seit 1950 zu einer Inflation von Pseudokultur, die in Wahrheit völligen Stillstand bedeutet. Wenn der Präsident des Organlsationskomitees von Luzern, Professor Alois Troller, das 25jährige Bestehen der Serenaden am Löwendenkmal mit der Bemerkung feiert, daß sie „Musik, Bäume, Felsen, Wasser, den nächtlichen Himmel und Thorwaldsens Werk zu einem seltsamen und einmaligen Gesamtwerk vereinigen”, so ist das neben der freundlichen Poetisierung auch eine Bindung des sehr Vergänglichen, einer Aufführung an die beständige Natur, als sei das eine Gleichung.

Möglicherweise führt die Berufung eines neuen künstlerischen Direktors — Rudolf Baumgartner — zu frischen Impulsen. Ein Programm wie das des Westdeutschen Rundfunks Köln mlit der „Messe von Tournai” (von 1320), Pendereckis „Stabat mater” und Ligetis „Requiem” erschien als wegweisend für Luzern, ebenso wie das zwei Tage später folgende Musica-Nova-Konzert der Festival Strings Lucerne unter Baumgartner selber im Zusammenwirken mit der exzellenten Schlagzeuggruppe „Les Percussions de Strasbourg” oder auch Gerd Zachers für Luzemer Maßstäbe revolutionäres Orgelkonzert in der Hofkirche mit Stücken von Isang Yun, Messiaen und Ligeti, denen die Sechs Fugen über B-A-C-H von Robert Schumann vorausgingen. Nicht Bilderstürmerei wird erwartet, sondern die sinnvolle Verbindung von Tradition und Gegenwart, allerdings auch kein bloßes Nebeneinander. Eine exemplarische Darbietung wie die von Purcells „The Fairy Queen” unter der Leitung von Benjamin Britten war „festlich”, weil ein selten gebotenes Werk mit einer einmalig werkbezogenen Interpretation zusammenflel und dem auf Ereignishaftes eingestimmten Publikum neue Kenntnis von einem Genie vermittelte: daß bei diesem Komponisten, der nicht älter wurde als Mozart und in dieser Zeit 871 registrierte Werke schrieb, die stilistische Einstufung gegenstandslos ist, weil er (ähnlich wie Mozart) mit der Kraft seines persönlichen Ausdrucks den Stil gewissermaßen aufgesogen, ja Wirkungen von Romantik und Moderne antizipiert hat. Hier bewährte sich — neben dem klangschön konzertierenden English Chamber Orchestra und Solisten aus dem Freundeskreis Brittens wie Jennifer Vyvyan und Peter Pears — auch der Luzemer Festwochenchor durch Akkuratesse und Engagement; daß vor dreißig Jahren erstmalig ein Chor dieses Namens auftrat, sei daher gern vermerkt.

Bruckner und Mahler sind Dominanten: vielleicht deswegen, weil die sinfonische Großform diesem Festival überhaupt das Gepräge gibt. Mahler kündigte nun aber, obwohl er an der Großform festhielt, den sinfonischen Anspruch des „Erhabenen” oder „Ewig-Gültigen” gerade auf. So ist für die „Sechste” gewiß nicht das Epitheton „tragisch”, sondern der Bau von einheitlichen Gebilden aus Gegensätzen oder die Farbveränderung als Variante eines gleichsam räumlichen Empfindens, aber derart strukturelle Einsichten vermittelte beispielsweise Antal Doratis Wiedergabe des Werkes — mit dem Schweizerischen Festspielorchester — nicht. Er ging es reichlich al fresco an, mit Betonung des Thematischen, das sowieso eindeutig ist; weder kam das Unvermittelte der Kontraste als spezifischer Spannungswert heraus, noch wurde die Entfaltung des Gegliederten, Gestalthaften aus dem Amorphen deutlich. Eine im konventionellen Sinn vitale und „musikantische” Aufführung verschönerte Mahler, ohne rechten Erfolg beim breiten Publikum. Halbheiten machen sich — das ist auf alle Festspielplanungen genauso anzuwenden — nie bezahlt.

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