Passionen im Rückwärtsgang

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Harrison Birtwistles "The Last Supper" und Helmut Jasbars Reflexion über die "Letzten Worte" bilden das Zentrum des Wiener "Osterklang"-Festivals.

Im Nachhinein stellt sich manches anders dar. Oder sind es nicht doch die gleichen Bilder? Harrison Birtwistle, der renommierte, besonders von Strawinsky geprägte englische Komponist und sein Librettist Robin Blaser haben sich auf eine solche Spekulationsreise begeben. Ihr Ergebnis: das dramatische Tableau "The Last Supper", 2000 an der Berliner Linden-Oper uraufgeführt, dieser Tage im Rahmen des 13. "Osterklang"-Festivals in einer Produktion der Neuen Oper Wien im Semperdepot zu sehen. Die Passionsgeschichte wird gewissermaßen im Rückwärtsgang präsentiert. Am Schluss steht nicht die Kreuzigung, sondern wird an den Verrat durch Judas in einer Vision erinnert, zuvor werden Kreuzigung und Kreuzweg reminisziert.

Im Mittelpunkt, wie es der Titel dieses knapp zweistündigen Werks avisiert, steht das Letzte Abendmahl. Genaugenommen das allerletzte. Denn szenisch überlegt wird, wie es wäre, wenn Jesus und seine Jünger erneut zu einem Letzten Abendmahl zusammenkämen. Dann - so die Sicht der beiden Autoren - steht nicht die Eucharistie, sondern die Fußwaschung im Mittelpunkt. Weggewaschen muss werden, was seit dem historischen Abendmahl alles im Namen des Christentums geschah. Angeklagt werden damit der die Menschen ausbeutende Kapitalismus oder Diskriminierung, gestellt wird das Thema des lebenswerten Lebens.

Zögerliches Musiktheater

Ein schlichtes Podium, darauf ein in die Höhe ragender Turm (Bühnenbild: Susanne Thomasberger) suggerieren den Ort des Geschehens. Selbstverständlich hat Regisseur Philipp Harnoncourt für die Auf- und Abgänge die Stiegen des Semperdepots in diese Szenerie miteingeschlossen. Zentrum des Spiels bildet der Tisch, um den sich die Zwölf mit ihrem Herrn versammeln. Am Ende zieht sich die Männergesellschaft, reingewaschen, nach Gethsemane zurück. Zurückbleibt der Geist unseres Jahrhunderts, typischerweise die einzige Frau (beeindruckend Jennifer Davidson) in dieser Solistenrunde.

Ratlosigkeit ist ihr ins Gesicht geschrieben. Dazu trägt auch die Musik Birtwistles, vom Amadeus Ensemble und dem Chor der Neuen Oper (Einstudierung Michael Grohotolsky) unter Walter Kobéra engagiert ausgeführt, bei. Mehr zögerliches als packendes Musiktheater, das er hier offeriert. Aufgeboten sind tiefe Streicher, viel Schlagwerk, Akkordeon und Synthesizer und ein via Tonband eingespielter Art Chorus Mysticus (exzellent der RIAS Kammerchor unter Marcus Creed). Sich wiederholende rhythmische Muster tragen auch nicht gerade zur Abwechslung bei, dafür sorgten ungleich mehr auf den Turm punktgenau projizierte Wort- und Zitatfetzen. Untadelig waren die solistischen Leistungen dieser österreichischen Erstaufführung, angeführt vom sonoren Jesus Alexander Puhrers und Ladislav Elgr als emphatisch gestaltendem Judas.

Schon Joseph Haydn bietet für die "Letzten Worte" mehrere Realisierungsmöglichkeiten an: mit und ohne Stimmen, für Streichquartett oder großes Orchester, wie sie zur Festivaleröffnung im Musikverein mit den Philharmonikern unter Riccardo Muti auch erklangen. Und heute? Helmut Jasbar, Komponist, Musiker und Autor, haben sie zu einer eineinhalbstündigen Collage inspiriert: "Es ist Freitag und Gott ist nicht da". Gedanken von jemandem, der soeben erfahren hat, dass er unheilbar krank ist, wo die Helle des Lebens bald der schnelleren Dunkelheit wird weichen müssen. Eine Passion ohne Hoffnung?

Eindrucksvolle Videos

Am meisten Eindruck hinterließen die von Peter Matic sensibel und eindringlich rezitierten Texte, aufrüttelnd unterstützt von den unruhig flackernden schwarz-weiß Videos von Hannes Kiengraber. Das von einem Streichquartett um Peter Gillmayr gespielte Finale aus Haydns "Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze" bildete den Einstieg für eine bald von vier abwesenden Sängern und Sängerinnen und Elektronik assistierte, verschiedene Stilebenen ansteuernde Musik, die gegenüber den Texten aber bald ins Hintertreffen geriet. Emotional wie in der gestischen Aussage.

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