... und die andern sieht man nicht

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Rund um die Bühne - Technik und Handwerk im Theater

Die Nebelschleier lichten sich und geben den Blick frei auf eine malerische Hügellandschaft. Am fernen Horizont wetterleuchtet das Mündungsfeuer der feindlichen Artillerie. Kanonendonner erschüttert, was von der Festung übrig ist, und Ratten huschen durch die Reste des Gemäuers. An vergangene Pracht erinnert einsam ein schwankender Kristallluster. Durch dichtes Schneetreiben kämpft sich Schutz suchend der schwer verwundete Held, bricht kraftlos unter einem Baum zusammen. Blut spuckend haucht er noch den Namen seines Mörders.

So könnte es sein. Oder auch ganz anders. Illusion ist es in jedem Fall. Theater. Und da steckt viel mehr dahinter, als man oberflächlich auf der Bühne sieht. Abgesehen von Schauspielern, Regisseuren und anderen, die direkt mit dem Stück befasst sind, kümmert sich noch zusätzlich ein riesiger Mitarbeiterstab um dessen Umsetzung und Gelingen. Und das mittlerweile auch auf privatwirtschaftlicher Basis: Der ehemalige Österreichische Bundestheaterverband wurde vor drei Jahren in die Bundestheater-Holding und ihre vier Tochtergesellschaften umgewandelt: die Wiener Staatsoper, die Volksoper Wien, das Burgtheater (dazu gehören auch Akademietheater, Vestibül und Kasino am Schwarzenbergplatz) und die ART for ART Theaterservice GmbH, die als Komplett- und Generalanbieter für die Theater Dekorations- und Kostümwerkstätten, Gebäudetechnik und Kartenverkauf beinhaltet. 560 Mitarbeiter sind im Einsatz, die das ganze Jahr über harte Arbeit leisten, ohne jemals im Rampenlicht zu stehen. Dafür aber umso öfter unter Zeitdruck: Die Premiere naht, Bühnenbild und Kostüme müssten fertiggestellt werden. Die Gesetze des freien Marktes verlangen wirtschafliches Denken, im Klartext: mit so wenig Mitarbeitern wie möglich auszukommen - und die müssen dann eben umso effizienter ans Werk gehen, die Beleuchter, (Requisiten-) Tischler, (Waffen-)Schlosser,Theaternäher, Tapezierer, Bildhauer, Theatermaler, Herren- und Damenschneider, Weißnäher, Modisten, Schuhmacher, Kostümmaler und noch viele mehr. Außerdem verfügt ART for ART über einen umfangreichen Fundus, der etwa 180.000 Kostüme und über 300 Requisiten der Dekoration und der Waffenwerkstätten beherbergt. Tendenz naturgemäß steigend, denn für neue Produktionen braucht man ja schließlich meist auch wieder neue Kostüme und neue Requisiten - und ein neues Bühnenbild, mit allen technischen Finessen. Denn um eine Welt auf die Bühne zu zaubern, muss man künsteln können.

Künstliche Welten

Was sich nun also lichtet in der eingangs beschriebenen Szene, das sind transparente Schleier aus der Näherei, und die Hügellandschaft ist keineswegs nur malerisch, sondern eben auch gemalt: Bis zu 1.600 m2 große Kulissen schafft die Malerwerkstätte in ihren riesigen (aber im Vergleich zum möglichen Output eigentlich doch gar nicht mehr so groß wirkenden) Sälen von 30 x 60 und 20 x 40 Metern. Der Kanonendonner kommt vom Tonband und die Festung ist aus allem, nur nicht Stein: Holz, Kunststoff, Styropor und Farbe. Die Ratten lässt man ferngesteuert huschen und das Kristall des Lusters ist in Wirklichkeit aus PVC: Folien werden maschinell tiefgezogen und Stück für Stück in Handarbeit montiert. Kunstschnee wirbelt aus der Maschine und der Baum hat noch kein Holz gesehen. Stamm und Äste sind aus Eisen und mit Styropor verkleidet; bis zu 400.000 imprägnierte (Kunst-)Stoff-Blätter wachsen auf Drahtstengeln, in etwa 1.000 Stunden Kleinarbeit befestigt. Wenn geschossen wird, dann mit Revolvern aus beispielsweise PU-Schaum (einem in den Produktionswerkstätten sehr häufig verwendeten Material, etwa für Ornamente; beliebt sind auch Plexiglas, Gummi und PVC-Folie). Und wenn das Stück uns in ebensowenig friedliche Zeiten entführt hat, die aber jedoch noch kein Schießpulver kannten, dann steigt der Held vielleicht am Ende lautlos aus der Kunststoff-Rüstung - und geht dann mit seinem Mörder noch gut essen, um den Zahnpastageschmack des Theaterblutes loszuwerden, bevor er sich am nächsten Abend erneut zur Strecke bringen lässt.

Um eine Produktion auf die Bühne zu bringen, bedarf es also des Zusammenspiels verschiedenster Bereiche. Haben zum Beispiel die Einzelteile des Bühnenbildes sämtliche Abteilungen der Dekorationswerkstätten im Arsenal durchlaufen, ist es immer noch ein langer Weg auf die Bühne. Jetzt tritt die Transport-Abteilung auf den Plan. Jeder, der öfter an Oper oder etwa Akademietheater vorbeispaziert, kennt sie: Die riesigen LKW der Theaterservice GmbH fahren - vor allem in Wien - jedes Jahr eine Strecke fast fünf Mal um die Welt: vom Arsenal zur Oper, vom Arsenal ins Burgtheater, vom Arsenal ... und zurück. Manchmal sogar über Land oder zum Flughafen. 27 Anhänger mit je 12 m2 Ladefläche sind es und an die 10.000 Bühnentransporte pro Saison. Und was gerade nicht gebraucht wird, fristet sein Dasein im Depot, auf 32.000 m2 Lagerfläche.

Versteckte Technik

Zur Basis für Illusion und Faszination gehören aber auch die Leistungen der Gebäudetechnik. Der Zuschauer darf davon nichts merken, Bühnenmaschinerie, Lichtanlagen etc. treten zugunsten der Vorstellung in den Hintergrund. Ohne die Tätigkeiten der Abteilung könnte aber keine gelungene Produktion zustande kommen. Sie reichen von der Errichtung und dem Betrieb der Bühnentechnik über Energieberatung und fachgerechte Betreuung von EDV- und Telefonanlagen bis zu Tarifmanagement, Rechnungsprüfung und Einholung von Offerten und behördlichen Genehmigungen. Und dann natürlich noch die Sicherheitstechnik. Die Sicherheitsbetimmungen in Österreich sind streng. Alles, was für die Bühnendekoration verwendet wird, muss unbrennbar sein, oder so behandelt, dass es das letztendlich wird. "Rauchen verboten" gilt für alle Bereiche (vom Zuschauerraum aus betrachtet) diesseits des eisernen Vorhangs. Auch brennende Kerzen werden Sie schwerlich jemals am vorderen Bühnenrand gesehen haben ...

Und damit unser Held nicht ohne Publikum sterben muss, benötigt es zuguterletzt natürlich auch den Kartenvertrieb, der aus weit mehr besteht als reinem Verkauf. Dazu gehören ebenso Kundeninformation und Betreuung der Abonnenten.

Und all dieser Aufwand ist glücklicherweise dazu gedacht, Würdigeres auf die Bühne zu bringen als unsere - im übrigen frei erfundene! - Anfangsszene.

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