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Aufschlureiche Parallele

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In Holland, diesem musikliebenden Lande, ist um Bachs „M a 11 h ä u.s p a s s i o n“ eine Auseinandersetzung im Gange, die auch für uns Österreicher eine recht aktuelle Bedeutung hat. Professor Dr. van de Leeuw, Hollands gegenwärtiger Minister für Unterricht, Kunst und Wissenschaft, hat kürzlich den Dichter Jan Engel-man beauftragt, den deutschen, von Bach verwendeten Text der „Matthäuspassion“ ins Holländische zu übersetzen. Das berühmte Tonwerk pflegt alljährlich in Holland mit Aufgebot unübertrefflicher Inter-pretatoren — in Amsterdam unter Dr. W. Mengelberg — aufgeführt zu werden; künftig soll dies nach jener ministeriellen Verfügung in holländischer Textfassung geschehen. Daß diese Aussicht nun auf einen sehr energischen Widerspruch stößt, auf einen Protest, der sich auf das entschiedenste einer Einmischung politischer Vorurteile und Tendenzen in das Kunstleben widersetzt, macht alle Ehre einem Volke, das während der deutschen Besetzung JJnsäglfcher gelitten hat, es aber nicht dulden will, daß Haß und leidenschaftliche Rache-gefü'-le nun hohes Kulturgut der Menschheit überschwemmen, weil es deutscher Herkunft ist. In ihrer Nummer 33.266 bezeichnet „De Tijd“, eine der führenden katholischen Tageszeitungen Hollands, das Unternehmen, den deutschen Text der Bachschen Tondichtung beseitigen zu wollen, als ein „Sakrileg“ an einem Werke, „in dem jede Note, jedes Wort und jeder Klang, der aus dem idealen Zusammengehen beider Elemente entsteht, der ganzen Welt der Musikfreunde teuer, vertraut und zu einem wirklichen geistigen Besitz gewordsn ist“. Das Blatt fragt, ob det Minister und seine Berater nicht „gewissen Modeströmungen“ zum Opfer gefallen seien, „die eine bedenkliche Abnahme unseres kulturellen Bewußtseins bedeuten“. Das Übersetzen vokaler Musikwerke, um sie damit verständlich zu machen, wie es zumeist bei Opern geschehen sei, habe immer einen Irrturn. dargestellt. Für den Konzertsaal bestimmte Musik sei „bisher von dieser Wannidee verschont geblieben“.

„Ist es zu kühn“ — fährt das Amsterdamer Blatt fort & „wenn wir u.er eine allzu kühne Aversion der deutschen Sprache gegenüber vermuten? Eine solche ist ja iion in ihrer beschämenden Torheit ans Licht getreten von jenem Tage an, wo ein Bürgermeister — .beileibe nicht e;nes abgebrannten Dorfes — der Menge vollen Halses versprach das Deutsch vom Lehrplan zu streichen ... so daß man zur, Annahme berechtigt ist, hinter der fadenscheinigen Motivierung des ministeriellen Auftrages nur lächerlichen Purismus, durch fanatische Abneigung gegen eine der bedeutsamsten Kultursprachen hervorgerufen, zu sehen “ Es liege da ein „A n-griff auf einen Kulturbesitz“ vor „Ist doch die Sprache in einem Musikwerk Teil eines Organismus, das heißt der Komposition als solcher unzertrennlich verbunden.“

„Wie wir vernehmen“ — schreibt „De Tijd“ — „haben Kirchenvorstände sofort nach Veröffentlichung dieser üblen Nachricht mit der Erklärung reagiert, ihre Gotteshäuser einer Matthäuspassionsaufführung mit übersetztem Text niemals zur Verfügung st e 11 e n zu wollen. Möge der Minister aus dieser prompten Reaktion eine Folgerung ziehen, diese nämlich: den Auftrag schnellstens zu annullieren! Daß diese Übersetzung — sollte sie auch durch die vom Ministerium eingesetzte Prüfungskommission angenommen werden — irgendwo Eingang finden wird, das können wir uns nicht vorstellen.

Doch die Tatsache allein, daß sie unter den Auspizien des Ministers überhaupt gemadit wurde, ist für ein Volk, das sich als ein Kulturvolk fühlt, eine große Schande.“

Eine Parallele mit einem in Österreich vorliegenden, nur schwerer wiegenden Falle liegt nahe. In Holland stürzt sich die Politik auf ein Kunstwerk, das nicht holländischen Ursprungs ist und sucht nicht die Tondichtung des deutschen Komponisten, sondern ihren deutschen Text zu unterdrücken. In Österreich stürzt sich auch die Politik auf ein klassisches Kunstwerk, das aber zum Unterschied ein österreichisches, durch ehrwürdige vaterländische Tradition geheiligtes ist. In diesem Falle handelt es sich aber nicht etwa bloß um den Text dieser kommt gar nicht in Betracht — sondern es ist auf die Unterdrückung die-ser östereichischen klassischen Tondichtung selbst abgesehen, auf Unterdrückung mit eigener österreichischer Hand, hoch offiziell, unter Einsetzung einer Justifizierungskommission, die „Jury“ genannt wird und es unternehmen soll, etwas Geeigneteres an Stelle des Tonwc :$, der Haydn-Hymne zu setzen, also einer erhabenen Tondichtung, die so hohes Kulturgut der Menschheit ist, daß sie seit langem dem „Prayer book“ der anglikanischen Kirche angehört und in manchen Gegenden Frankreichs als Sakraments-Hymnus im Gebrauche stand.

Wie sagt in Anwendung auf den milderen holländischen Fall das Amsterdamer Blatt? „... für ein Volk, das sich als ein Kulturvolk fühlt, eine große Schande.“... Wir können noch nicht glauben, daß es bei uns damit wirklich ernst werden soll.

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