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Die Bremsklötze

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Versucht man die einzelnen Ursachen des Fehlschlages aufzuzeigen, gerät man in Gefahr, die Tragik des Tages in Zufälligkeit und Belanglosigkeit aufzulösen.

Daß der Abfall Fromms von entscheidender Bedeutung war, ist klar.

Kennzeichnend ist die Episode mit dem Kommandierenden General von Berlin, Kortzfleisch. Kortzfleisch weigerte sich, die Autorität Hoeppners anzuerkennen.

weigerte sich, den Belagerungszustand zu verhängen, und fing an zu toben. Die höchste Autorität im Haus, Beck, das designierte Staatsoberhaupt, erschien und erwies sich der Größe der Stunde gewachsen. Was spreche der General da von Eid? Habe nicht Hitler selbst auf die Verfassung geschworen und seine Treuepflicht gegenüber dem Volk hundertmal gebrochen? Aber all das half nichts, der Auftritt, der Nerven und Zeit beanspruchte, ging erst zu Ende, als man Kortzfleisch festsetzte; er entsprang dann wieder, , mußte am Kragen gefaßt und zu-rückgezerrt werden.

Weniger dramatisch, aber entscheidender scheint der heimliche Widerstand oder die zumindest zögernde Arbeit des N a c h r i c h-tenbetriebes in der Bendlerstraße gewesen zu sein, wo der Offizier vom Dienst, ein Leutnant Röhricht, der im NS-Studentenbund eine Rolle gespielt hatte, stutzig geworden war. Er hatte vor allem am Punkt 6 der Befehle, der die Gefangensetzung der KZ-Mannschaften vorsah, Anstoß genommen. Dazu kamen technische Tücken der Nachrichtenübermittlung, die für die Bendlerstraße bestimmte Meldungen bei Goebbels einlaufen ließen.

Ein noch entscheidenderes Mißgeschick aber ereignete sich bei der „Infanterieschule Döberitz“, der die Doppelaufgabe zugedacht war, die Funkstellen in Berlin zu besetzen und die beiden güoßen Konzentrationslager in Oranienburg zu befreien. Der Kommandeur der Schule, General H i t z f e 1 d, ein Mitverschworener, hätte sicherlich beide Aufgaben gelöst und die Truppe ebenso durch sein Beispiel mitgerissen wie Oberst von Kr ä w e 1 in Paris, der an der Spitze seiner Truppe in die SS-Unterkünfte in der Avenue Foch eindrang. Aber gerade an diesem Tag war General Hitzfeld durch einen Todesfall in der Familie abwesend. Schwerwiegender: auch sein energischer Stellvertreter, Oberst Müller, war in den entscheidenden Stunden abwesend, so daß Un-entschlossenheit, Zögern und eine Art Kriegsratstimmung ein rasches Handeln dieser guten Truppe verhinderte. Das Versagen der Infanterieschule wurde deshalb mit dem Epitheton „Entscheidend“ bedacht, weil sowohl das Aufbrechen der großen Lager als auch die erst durch eine Besetzung der Funkstationen mögliche Verbreitung des vorbereiteten Aufrufes („Deutsche! Ungeheuerliches hat sich in den letzten Jahren vor unseren Augen abgespielt. Hitler hat ganze Armeen gewissenlos wider den Rat der Sachverständigen seiner Ruhmessucht, seinem Machtdünkel, seiner gotteslästerlichen Wahnidee geopfert, berufenes und begnadetes

Werk der .Vorsehung' zu sein...“) den Charakter des Funkens, der Initialzündung gehabt hätten.

Weniger entscheidend mutet heute die Episode Remer an. Ja, es ist heute notwendig, den Generalmajor vom 20. Juli sachte bei der Hand zu nehmen und aus dem- Vorzimmer der Weltgeschichte, in das er sich hineindramatisiert hat, wieder herauszuführen. Die Gründe dafür sihd 2wei-facher Natur. Erstens war die eigentliche treibende Kraft hinter Remer jener Leutnant Hagen, der zuerst und auf eigene Initiative die Verbindung mit Goebbels aufnahm. Zweitens war der Aufstand bereits niedergeworfen, als Remer in der Bendlerstraße eintraf. Offen bleibt die Frage, ob Remer — wie der Sohn des Stadtkommandanten v. Hase meint — ursprünglich mit von der Stauffenberg-Partie war. Aber da sind die Uebergänge verschwimmender, als man meint. Sicher war Remer keiner der wirklich „Eingeweihten“. Möglich ist nur, daß Generalvon Hase in etwas allgemeinen Worten („Remer, es kann sein, daß wir einmal für Deutschland, verstehen Sie mich, nicht für die Partei, auch nicht für den Führer, nein, einzig und allein für Deutschland antreten müssen“) seine Bereitschaft geprobt und einen positiven Eindruck erhalten hat.

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