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Die Oper brennt

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Trotz vieler Schauspielaufführungen außerhalb der stillgelegten Bühnen Wiens spürte man 1944 doch das Sterben echter Theaterwelt, wenngleich der Verfasser eines Zeitungsartikels den Geist der alten „Burg“ aus deren verschlossenen Türen herauswehen spürte. Vielleicht war auch das richtige Theaterpublikum abhanden gekommen, seien es nun die Wiener selbst oder deren Gäste aus anderen Gegenden der ehemaligen Monarchie. Voll Erinnerung an diese seinerzeitigen Besucher setzte sich Franz Ronneberger am 2. November in der Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“ unter dem Titel „Das Ende des südosteuropäischen Bürgertums“ mit den gesellschaftlichen Vorgängen donauab-wärts auseinander. Er stellte das dortige „Bürgertum“ seinerseits unter Anführungszeichen, warf ihm den Bruch des Bündnisses mit dem Dritten Reich vor und prophezeite diesen Leuten eine neue „Türkenzeit“. Ronneberger mußte allerdings zugeben, daß sich die bürgerliche Balkanschicht nicht aus reiner Liebe dem Generalissimus Stalin in die Arme geworfen hatte, doch verschwieg er beharrlich den Grund hierfür, nämlich die Niederlagen der Deutschen Wehrmacht und die damit verbundene Schutzlosigkeit ihrer einstigen Bundesgenossen gegenüber der Roten Armee.

Nur die tschechischen Bürger behütete man noch mit sorglicher Hand und konnte Ihnen daher durch den Präger Justizminister Dr. Krejcek auf einer Kundgebung In Mähren sagen lassen, daß die Goldene Stadt an der Moldau keineswegs das Warschauer Martyrium oder die Widerspenstigkeit slowakischer Gemeinden nachahmen werde. Tatsächlich war in Prag der 28. Oktober 1944, das heißt der 26. Gründungstag der tschechoslowakischen Republik, ohne merkbares Auflehnen vorübergegangen, wozu allerdings die Kunde vom blutigen Ende des Aufstandes um Neusohl wesentlich beigetragen hatte.

Das Schicksal der Wiener Staatsoper scheint zumindest schon im September 1944 besiegelt worden zu sein. Damals schritt eine Kommision des Arbeitsamtes im Hause umher und ließ sich das gesamte Bühnen- und Verwaltungspersonal vorführen. Nun halfen keine Ausreden, die Bescheinigungen höchster Gönner sanken zu

einem Fetzen Papier herab, der totale Krieg forderte unerbittlich seinen Tribut. Auch die 21 Feuerwehrleute des Hauses verschwanden, und nur noch vier mehr oder weniger invaliden Männern gelang es, im Feuerlösch- und Luftschutzdienst der Oper zu verbleiben. Zufrieden verließen die grimmigen Arbeitsamtsfunktionäre mit einem Schwärm junger Sekretärinnen das Gebäude, in dessen Kellern sie bei dieser Gelegenheit auch den üblichen Fliegeralarm gut überstanden hatten.

Einer Handvoll Menschen waren also jetzt jene unermeßlichen Werte, die allseits im Hause eingelagert wurden, anvertraut und machten die Betroffenen nervös. In Sorge um die Erhaltung dieses Materials reifte daher bei ihnen ein wohlgemeinter, jedoch äußerst verhängnisvoller Entschluß: Uber Anforderung rückte aus nahen Lazaretten ein Detachement Genesender in die Oper ein, um hier nach Luftangriffen oder des Nachts Wachdienst zu versehen. Die mit Gewehr und Stahlhelm ausgerüsteten Soldaten umkreisten das Gebäude und erweckten bald bei Passanten den Eindruck, hier werde ein getarnter, kriegswirtschaftlicher Betrieb größten Ausmaßes geschützt. Hinzu kam, daß die Luftschutzkeller der Oper für die Öffentlichkeit geschlossen blieben und nur wenigen, noch beim Donner der Flak durch die Straßen hastenden Passanten der Einlaß in die Tiefe gelang.

Bomben in Opernnähe

Die beiden, am 12. März 1945 mit Feuerschutzmaßnahimen in der Oper befaßten Mitarbeiter Weigl und Gaunersdorfer erinnern sich später voll Schrecken an jenen Montag im März. Schon um 8 Uhr früh hatte die Sonne den Morgennebel über Wien gelichtet. Bald tönten die ersten Alarmsirenen, doch bis Mittag flogen die amerikanischen Bomberverbände fast ohne Abwurf über die Stadt hinweg. Knapp nach 13 Uhr teilte die unterirdische Befehlsstelle der Oper mit, daß nunmehr mit einem Angriff auf das Wiener Stadtzentrum zu rechnen sei. Gleich darauf detonierte eine Bombe auf der nahen Albrechtsrampe, die nächste schlug schon beim Tor in der Operngasse ein, wo mehrere Pferdefuhrwerke, die unter den Arkaden des Hauses Zuflucht gefunden hatten, zu einem Knäuel von Kadavern und Rädern schrumpften.

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