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Die Sonne von Gorlice

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Am 25. März 1915 war nach viereinhalb-monatiger hartnäckiger Verteidigung die stärkste Festung Oesterreichs, Przemysl, gefallen, durch den Hunger bezwungen. 9 Generale, 93 Stabs-, 2500 Oberoffiziere und 117.000 Mann waren in Gefangenschaft geraten. Lieber 200.000 Russen waren verfügbar geworden; die Besorgnis lag nahe, daß diese Kräfte nun Krakau zernieren würden, um den russischen Armeen den Weg nach Schlesien, ja nach Wien frei zu machen.

Es kam anders! Die Russen hielten an ihrer Absicht, über die Karpaten nach Ungarn vorzustoßen, fest. Die österreichischen Verteidiger gerieten in arge Bedrängnis, der Beskidenkamm war zum Teil verlorengegangen, dort wurden auch deutsche Truppen eingesetzt. Wohl war es dann in der blutigen „Osterschlacht“ gelungen, das weitere Vordringen der Russen aufzuhalten, aber das viermonatige Ringen um die Karpaten hatte etwa 800.000 Mann gekostet — freilich betrugen die Verluste der immer wieder anstürmenden Russen mehr als das Doppelte. Die österreichisch-ungarische und die deutsche Oberste Heeresleitung gelangten zur Erkenntnis, daß die Initiative nicht weiter den Russen überlassen werden dürfe. Nur eine große Offensive aus Westgalizien konnte Abhilfe schaffen — ein kraftvoller Vorstoß gegen die Verbindungen der russischen Karpatenfront.

So kam es am 1. April abends zum „Gorlice-Entschluß“, dessen Urheberschaft sich beide Heeresleitungen zuschrieben. Acht deutsche Divisionen von der Westfront mit starker Artillerie sollten als „11. Armee“ mit der k. u. k. 4. Armee die russische Front durchbrechen und, unterstützt durch die aus den Karpaten vorstoßende k. u. k. 3. Armee, den Feind bis über Lemberg zurückwerfen.

Der deutsche Chef des Generalstabee, Falkenhayn, stellte für diesen — zum erstenmal versuchten — Durchbruch durch eine seit Monaten technisch ausgestaltete Front besonders kriegserprobte Truppen bereit und rüstete sie mit den besten Kampfmitteln aus. Freilich nur unter der Bedingung, daß dem deutschen Befehlshaber der 11. Armee, Mackensen (sein Generalstabschef der nach 1918 bekanntgewordene damalige Oberst von Seeckt), auch die k. u. k. 4. Armee (Erzherzog Josef Ferdinand) unterstellt würde.

Der Aufmarsch wurde sorgfältig geheimgehalten; zur Täuschung des Gegners wurden nördlich der Weichsel, in den Karpaten, ja sogar an der Westfront Scheinangriffe ausgeführt. Auf den beabsichtigten Angriff mit dem neuen schreckenerregenden Kriegsmittel Giftgas wurde letztlich verzichtet.

Am Morgen des 2. Mai 1915 erstürmten tapfere Kämpfer, deren Heimat sich von der Nordsee bis zur Adria erstreckte, die von todesmutigen Soldaten des Zarenreiches — von der Ostsee bis zum Stillen Ozean aufgeboten — verteidigten stark befestigten Stellungen binnen wenigen Stunden. Die Not banger Wintermonate wich unter der warmen Friihlingssonne erneuter Zuversicht, die auch auf die Heimat übergriff.

Es gelang den acht deutschen und — zunächst — zehn österreichisch-ungarischen Divisionen, unaufhaltsam nach Osten vorzudringen und die im Rücken bedrohten russischen Karpatenkämpfer zur Räumung ihrer mit Opferung von Hunderttausenden braver Soldaten erkämpften Stellungen zu zwingen. Am 3. Juni wurde Przemysl befreit, am 22. Juni von der Wiener 13. Schützendivision Lemberg erobert.

Gerne denke ich an diesen Tag zurück, an dem ich im Gefolge des Kommandanten der 2. Armee, Böhm-Ermolli, meinen Einzug in die galizische Hauptstadt gehalten habe. Die Begeisterung der Bevölkerung war unbeschreiblich. Mein Auto war derart von Blumen erfüllt, daß das Aussteigen schwierig war.

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