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Przemysl gefallen!

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Am 23. März 1915 ergab sich Oesterreichs größte Festung, Przemysl, nach viereinhalb-monatigem tapferem Widerstand der feindlichen Uebermacht, vom Hunger bezwungen. Damit war wohl der Tiefpunkt des ersten Weltkrieges erreicht. Wie war es dazu gekommen?

Nach den optimistischen Kriegsberichten vom August 1914 (Krasnik, Komarow) ist die schlecht orientierte Oeffentlichkeit durch den wenig geschickt stilisierten Kriegsbericht „Lemberg noch in unserem Besitz“ gewaltig ernüchtert worden. Der Glaube, „zu Weihnachten sind unsere Soldaten wieder daheim“, verschwand. Nur Eingeweihte wußten, daß an diesem Mißerfolg nicht nur die zu starke Dotierung mit Truppen des Nebenkriegsschauplatzes Serbien, sondern auch die Nichteinhaltung der Verpflichtung der deutschen obersten Heeresleitung: aus Ostpreußen die Offensive in der südlichen Richtung Kieke (östlich Warschau) zu ergreifen und dort den über Krasnik, Komarow, Lublin vereinbarungsgemäß nach Norden vorstoßenden k. u. k. Armeen die Hand zu reichen, schuld war. Unsere Armeen mußten in den Raum um Lemberg abschwenken — wo sie zu spät kamen.

Nach der Einnahme Lembergs umzingelten die Zarenarmeen Przemysl und gelangten bis vor Krakau. Vorübergehend befreiten k. u. k. Truppen Przemysl, aber sie zehrten einen großen Teil der vorsorglich zur Verteidigung aufgestapelten Vorräte auf. Krakau konnte freilich durch den Sieg bei Limanowa-Lapanow gehalten werden, aber in den Karpaten, über die nunmehr die Russen nach Ungarn vorstoßen wollten, erlitten die Truppen schwerste Verluste. Wiederholte Versuche zum Entsatz Przemysls scheiterten, und so mußte sich diese ausgehungerte Festung schließlich den Russen ergeben.

Der vom Festungskommandanten geplante Durchbruch der Besatzung durch die feindliche Einschließung versprach wohl bei der Entkräftung der Verteidiger kaum einen Erfolg. Aber General der Infanterie Kusmanek wollte doch noch — wie das Generalstabswcrk berichtet — die Waffenehre durch einen heroischen Schlußakt bis zum letzten Ende wahren, gleichviel, ob das Unternehmen zu ruhmvollem Untergange oder zu kaum erhofftem Gelingen führen würde. Immerhin konnte dem Feinde Abbruch getan, Verwirrung in seine Reihen getragen und auf diese Weise den Karpatenarmeen genützt werden.

General der Infanterie Kusmanek wandte sich mit einem Funkspruch an den Obersten Kriegsherrn:

„Eure Majestät! Nach ununterbrochenen sechsmonatigen Kämpfen, vom Feinde unbesiegt, jedoch durch Hunger gezwungen, wird morgen, den 19. März, die Besatzung von Przemysl, obzwar die Mannschaft durch monatelange Entbehrungen aller Art fast ganz entkräftet ist, den Versuch beginnen, den eisernen Ring des Feindes zu durchbrechen, um vor ihrem wahrscheinlichen Untergange der Feldarmee vielleicht doch noch einen Dienst zu leisten.

In diesem schicksalsschweren Augenblicke erheben sich unsere Herzen in unentwegter Liebe und Treue zu Eurer Majestät.

Kusmanek, Gen. d. I.“

Der Kaiser antwortete:

„Die Meldung des heroischen Ausfalles, den die bisher unbesiegte Besatzung Przemysls zu unternehmen entschlossen ist, hat Mich tiefstens ergriffen und aus dem Grunde meines Herzens sende Ich den Helden, die eine letzte Großtat zur Ehre des Vaterlandes und dem Ruhm, unserer Waffen beginnen, Meine Segenswünsche. Was die Besatzung Przemysls geleistet, bleibt ewig denkwürdig, und jedem einzelnen gebührt ein Blatt aus dem Lorbeerkranze, den dankerfüllt Ich und das Vaterland der tapferen, opferfreudigen Besatzung Przemysls weihen.

Des Allmächtigen gnädigster Schutz sei mit Euch!

Franz Joseph.“

Als dieser Funkspruch in der Festung eintraf, standen die Truppen bereits im Kampfe, der — wie vorauszusehen war — nicht zu dem erhofften Erfolg führte.

Am 23. März 1915 gerieten 9 Generale, 93 Stabs- und 2500 Unteroffiziere und 11 7.0 00 Mann in Kriegsgefangenschaft. In Anerkennung ihrer Tapferkeit gestattete man den Offizieren, den Säbel zu behalten. Diese Begünstigung wurde aber nach drei Wochen wieder zurückgenommen, als sich das haltlose Gerücht verbreitete, ein gefangener Russe sei' grausam verstümmelt worden.

Dem Verteidiger von Przemysl, General der Infanterie Kusmanek, dem später das Ritterkreuz des Militär-Maria-Theresien-Ordens verliehen wurde, hatte Kaiser Franz Joseph am 20. März erwidert:

„Ergreift es Mich tiefstschmerzlich, daß der gestern kühn gewagte Durchbruch der Besatzung Przemysls an der Uebermacht des Feindes scheiterte, so blicke Ich doch mit wehmütigem Stolze auf den unvergleichlichen Opfermut der Braven, denen der Erfolg nicht beschieden war. Allen, die da kämpften, danke Ich allerherzlichst für die Heldentat, und segne Ich das ruhmvolle Andenken jener, die ihr Leben auf dem Felde der Ehre hingaben.

Noch in fernster Zukunft wird die Geschichte weithin künden, was Oesterreich-Ungarns Krieger mit der hartnäckigsten Verteidigung der Festung Przemysl volibracht haben — sie waren standhaft und tapfer bis zum letzten Ende.

Franz Joseph.“

Vierzig Jahre sind seither vergangen; nur noch wenige der damaligen Mitkämpfer, die bittere Jahre in der Gefangenschaft erdulden mußten, bevor sie die Heimat wiedersahen, sind noch am Leben. Ihnen und ihren Söhnen sei dieser Rückblick gewidmet.

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