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Die Tragodie der Barackendeutscfien

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In diesen Monaten sind es zehn Jahre her, daß die große Katastrophe Europas einsetzte. Unter den Millionen von Menschen, die in jenen Wochen und Monaten Gut Und Heimat verloren, befanden sich auch hunderttausende Donauschwaben, die seither im Westen leben. Das Gedenken an jene Zeit soll Anlaß sein, eine Bilanz über die in der Zwischenzeit erfolgten Umschichtungen innerhalb des donauschwäbischen Volksstammes zu ziehen.

Eine solche Bilanz hat jedoch nur Gültigkeit für jene Hälfte des donauschwäbischen Volksstammes, die seit Kriegsende im Westen lebt, nicht aber für die zweite Hälfte, die in der alten Heimat verblieben ist. Ueber die Entwicklung dieser zweiten Hälfte sind wir nur sehr vage unterrichtet, wenn wir von Nachrichten östlicher Quellen absehen wollen, die ja doch in den meisten Fällen einer starken propagandistischen Färbung nicht entbehren.

Es bestehen nur wenige Statistiken, die über das wirtschaftliche, soziale und soziologische Gefüge des donauschwäbischen Volksstammes Aufschluß geben könnten. Bedingt durch die Streulage in der alten Heimat, war es außerordentlich schwierig, derartige Untersuchungen anzustellen. Tatsächlich wurden zuletzt brauchbare Unterlagen anläßlich der ungarischen Volkszählung im Jahre 1910 gewonnen. Bei den späteren Zählungen wurde das deutsche (donauschwäbische) Element nicht ausgegliedert, weshalb Daten aus der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen nur durch kostspielige und mühselige Erhebungen von Privatpersonen gewonnen werden konnten. Besonders erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang die Untersuchungen des heute in Straßburg lebenden Statistikers Johann Wuscht. So kommt es, daß die Zahl dieser Erhebungen nicht sehr groß war und deren Umfang aus pekuniären und organisatorischen Gründen die Grenzen einer Dorfschaft oder eines Bezirkes kaum überschreiten konnte.

Die große Zerstreuung nach 1945 brachte hierin keine Wendung. Die Zerstreuung ist heute größer als je, und die amtlichen Ver-triebenenstatistiken weisen die Donauschwaben unter den Sammelbegriffen „Vertriebene“, „Ausländer“ oder bestenfalls als „Ungarn-“, „Jugoslawien-“ und „Rumäniendeutsche“ aus. Donauschwäbische Statistiken wurden wahrscheinlich nur im Rahmen der sogenannten „Heimatsortkarteien“ von einigen Dorfschaften in Deutschland erstellt. Diese dienen der Schadenfeststellung im Lastenausgleich und erfüllen daher ihren Zweck, wenn sie auch für die Darstellung der gesamt-donauschwäbischen Situation ungeeignet sind, da ihnen keine repräsentative Bedeutung zukommt.

Im folgenden wurde der Versuch unternommen, die Ergebnisse der von der Donauschwäbischen Arbeitsgemeinschaft (DAG) angeordneten Personen- und Vermögenserfassung im Lande Salzburg zusammenzufassen, auszuwerten und zu deuten. Diese sekundärstatistische Erhebung umfaßt jene donauschwäbischen Haushalte im Lande Salzburg, die sich freiwillig zur Erfassung meldeten; das sind 1231 Haushalte mit insgesamt 3518 Personen. Haushalte, die in der alten Heimat vollkommen vermögenslos waren, sind daher nicht berücksichtigt, ein Umstand, der sich auf die gewonnenen Ergebnisse kaum auswirkt. Manche Daten, die sehr interessiert hätten, scheinen im Erfassungsbogen nicht auf, da er ja primär für die Vermögenserfassung gedacht ist. Trotz aller hierdurch bedingten Mängel wird ein repräsentativer Querschnitt der strukturellen Verschiebungen der Donauschwaben in der Vertreibung gewonnen.

Wie erwähnt, umfaßt die Erhebung 1231 donauschwäbische Haushalte mit 3518 Personen, die früher in Jugoslawien, Ungarn und Rumänien beheimatet waren. Die in der Statistik inbegriffenen Einheimischen, die in donauschwäbische Haushalte eingeheiratet haben, werden das Ergebnis nicht wesentlich beeinflussen.

Von den Haushaltsvorständen waren 331 (26,9%) in der alten Heimat selbständig oder unselbständig in der Landwirtschaft beschäftigt. Tatsächlich ist der Anteil der bäuerlichen Bevölkerung unter den Donauschwaben wesentlich höher; die Verschiebung ist auf den Umstand zurückzuführen, daß zahlreiche Witwen' und weibliche Hinterbliebene nach Vermißten ihren Beruf als Hausfrauen angaben, aus dem die bäuerliche Herkunft nicht ersichtlich ist. Diese Haushaltsvorstände wurden daher in jener Rubrik ausgegliedert. Derzeit sind lediglich 36 der erfaßten donauschwäbischen Haushalte in der Salzburger Land- und Forstwirtschaft beschäftigt, was einem Prozentsatz von nur 2,9 gleichkommt. Der Großteil der ehemaligen Landwirte und Landarbeiter verrichtet heute Hilfsarbeiten in gewerblichen Berufen, ein Teil ist durch Umschulung zur gewerblichen Facharbeit gestoßen. Ebenso einschneidend sind die Verschiebungen in der Wirtschaftsgruppe Handwerk, Industrie und Handel. Heute gehören 780 Haushalte (63,3%) dieser Wirtschaftsgruppe an, gegenüber 427 Haushalten (34,6%) in der alten Heimat.

Von den 46 (3,7%) Freiberuflichen und öffentlich Bediensteten aus der alten Heimat sind heute 40 (3,2%) in ihrem Beruf beschäftigt.

Von den 355 Hausfrauen (28,8%), die vor 1944 einen Haushalt versorgten, sind heute 195 (15,8%) im eigenen Haushalt tätig, 77 (6,2%) arbeiten in fremden Haushalten, während der Rest in gewerblichen Berufen Beschäftigung gefunden hat. In sonstigen, oben nicht erwähnten Berufsgruppen waren vor 1944 38 Haushaltsvorstände (damals noch Schüler usw.), heute sind es 165 (13,4%),

Die übrigen beruflichen Verschiebungen sind weniger einschneidend. Auffallend ist noch, daß nicht weniger als 28,8% aller donauschwäbischen Haushalte im Lande Salzburg einen weiblichen Haushaltsvorstand haben — eine Folge der entsetzlichen Kriegs- und Nachkriegsverluste der Donauschwaben.

Der Umfang der beruflichen Strukturänderun bei den Donauschwaben wird am besten aus nachstehenden Ziffern ersichtlich: von den 1231 Haushaltsvorständen sind mit 452 (36.7%) nur etwas mehr als ein Drittel in seinerzeit erlernten Berufen beschäftigt, während der Rest (779, das sind 63,3%) berufsfremd eingesetzt ist.

Aus einer ungarischen Statistik aus dem Jahre 1910 geht hervor, daß damals 72,4% aller erwerbsfähigen Deutschen im Komitat Torontal selbständig berufstätig waren (die im • eigenen Betrieb mithelfenden Familienangehörigen inbegriffen). Heute sind von den im Lande Salzburg erfaßten Donauschwaben nur 28 (2,3%) selbständig, weitere 849 (69,0%) gehen einer unselbständigen Beschäftigung nach, während 119 (9,6%) eine Fürsorgeunterstützung oder Rente beziehen. Ohne regelmäßige Einkünfte sind 235 (19,1%) der erfaßten Haushaltsvorstände.

Die Vorzeichen sind also heute umgekehrt: “Die Unselbständigen haben anteilsmäßig die Stelle der Selbständigen von einst eingenommen, dazu kommt noch das „soziale Gepäck“, das — bedingt durch die noch nicht abgeschlossene Auswanderung von jungen und gesunden Menschen — mit insgesamt 354 Personen (9,9%) — Fürsorge- und Rentenempfänger sowie Personen ohne regelmäßige Einkünfte — aufscheint. Eine beträchtliche Anzahl von sozialen Notstandsfällen dürfte darüber hinaus versteckt, das heißt wegen Ausbleibens einer anderweitigen Versorgung (Pension, Rente usw.) zur Arbeit gezwungen sein.

Bei konsequenter Fortsetzung der vom Bun-desministerium für Land- und Forstwirtschaft im Jahre 1953 gestarteten landwirtschaftlichen Eingliederungsaktionen sowie durch Begünstigungen auf dem gewerblichen und freiberuflichen Sektor, nicht zuletzt auch durch die zum Teil erfolgte bzw. bevorstehende sozialrechtliche Gleichstellung bahnt sich eine allmähliche Besserstellung an, die die soziale Struktur der Donauschwaben im guten Sinne korrigieren kann.

Wohnverhältnisse Obwohl jede Vergleichsbasis zu den Wohnverhältnissen in der alten Heimat fehlt, kann man aus den nachstehenden Ziffern ein Bild über die Notstände auf dem Gebiet des Wohnungswesens unter den Donauschwaben gewinnen.

Von den 1231 erfaßten donauschwäbischen Haushalten sind nicht weniger als 651 (52,9%) in aus Holz errichteten Baracken oder Behelfsheimen untergebracht. Der Rest von 580 Haushalten (47,1%) wohnt in Massivbauten. Die Barackeninsassen wohnen in Baracken, die vom Bundesministerium für Inneres, von der Bundesgebäudeverwaltung, der Stadt Salzburg und vom Landeskomitee für Flüchtlingshilfe verwaltet werden, oder auch in eigenen oder Firmenbaracken.

Sehr aufschlußreich sind die Ziffern über die Pro-Kopf-Wohnfläche der Donauschwaben. Nur 445 donauschwäbische Haushalte (36,1%) wohnen auf einer Fläche von neun Quadratmeter und mehr je Familienmitglied, eine Fläche, die als absolutes Minimum des „gesunden Wohnens“ bezeichnet wird. Auf acht Quadratmeter je Familienmitglied leben 200 Haushalte (16,2%), auf sieben Quadratmeter 156 Haushalte (12,7%), auf sechs Quadratmeter pro Familienmitglied 182 (14,8%). In 138 Familien (11,2%) wohnt jedes Mitglied auf fünf Quadratmeter und in 77 Familien (6,3%) auf vier Quadratmeter. Katastrophal sind die Wohnverhältnisse jener 28 Familien, in denen jedes Familienmitglied auf nur drei Quadratmeter wohnt, ganz zu schweigen von jenen fünf Familien, in denen nur zwei Quadratmeter oder weniger von jedem Mitglied bewohnt werden.

Von den 3518 erfaßten Donauschwaben im Lande Salzburg sind 1614 (46,0%) männlich und 1904 (54,0) weiblichen Geschlechtes.

Mit dem Stichtag 31. Dezember 1953 ergibt sich nachstehende biologische Struktur der

Von den erfaßten Donauschwaben sind 194 (5,4%) alleinstehend, in 336 Haushalten (das sind 27,3% aller Haushalte) leben je zwei Personen, in 302 Haushalten (24,5%) je drei Personen. 226 (18,3%) Haushalte beherbergen je vier Personen und 103 (8,3%) Haushalte je fünf Personen. Haushalte mit sechs Personen gibt es nur 27 (2,2%), solche mit sieben Personen nur 9 (0.7%). In weiteren sieben Haushalten leben je acht Personen (0,5%) und nur in fünf Haushalten leben neun oder mehr Personen. Somit ergibt sich eine durchschnittliehe Haushaltsbesetzung von 2,9 Personen (gewöhnliches arithmetisches Mittel).

Die unterdurchschnittliche Besetzung der erfaßten donauschwäbischen Haushalte ist auf die schweren Kriegs- und Nachkriegsverluste, auf die durch die Nachkriegsverhältnisse bedingte Zerreißung von Familien sowie nicht zuletzt auf biologische Ueberalterung zurückzuführen.

Von den erfaßten Donauschwaben im Lande Salzburg sind 2465 (69,7%) römisch-katholischen Glaubensbekenntnisses, weitere 1020 (29,4%) gehören einem evangelischen Bekenntnis an, während 33 (0,9%) der Sekte der Nazarener angehören.

Die Unterschiede in der biologischen Struktur der donauschwäbischen Katholiken und Evangelischen sind überaus gering und dürften auf Zufallsschwankungen zurückzuführen sein.

Aus den obigen Darstellungen geht hervor, daß die Donauschwaben wie wohl keine andere Gruppe in Europa — die zahlenmäßig nicht sehr bedeutenden, ebenfalls vorwiegend bäuerlichen Siebenbürger Sachsen ausgenommen — grundlegenden Strukturwandlungen unterworfen sind, deren Ursachen nur im Rahmen der allgemeinen strukturellen Umwälzungen verstanden werden können. Daß die Donauschwaben, ein Volksstamm mit einer betont bäuerlichen Grundhaltung und einem bäuerlichen Bevölkerungsanteil von rund 50% in der alten Heimat, im neuen Milieu nur relativ spärlichen Zugang zum bäuerlichen Lebens- und Wirkungskreis gefunden haben (wobei allerdings zu bemerken ist, daß der Anteil der „Neubauern“ im Gebirgs-land Salzburg jenen in den fruchtbareren Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich und Steiermark bei weitem nicht erreicht), wird aus dem Mangel an frei verfügbarer landwirtschaftlicher Nutzfläche, aus der Verschiedenheit der Siedlungsformen in der alten und neuen Heimat, nicht zuletzt auch aus der veränderten Struktur der Familien (Ueberalterung durch Kriegs- und Nachkriegsverluste, getrennte Familien usw.) verständlich. Die bäuerliche Grundhaltung dieses Volksstammes, die aus den angeführten Gründen in wirtschaftlicher Hinsicht in Richtung der landwirtschaftlichen Produktion nicht zum Ausdruck kommen kann, findet ihren Niederschlag im Hang zur Eigentumsbildung an Haus und Garten sowie zur Schaffung von kleinstbetrieblichen Nebenerwerbsstellen

(Schweinemast, Geflügelzucht, Gemüsegärtnerei usw.). Der Umfang dieser unfreiwilligen Abwendung vom bäuerlichen Lebensmilieu wird unter anderem auch verständlich, wenn man berücksichtigt, daß (nach Wuscht) im Jahre 1944 nur 16% der donauschwäbischen Bevölkerung in Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern lebten, während heute schätzungsweise mindestens 60% der Donauschwaben in Städten oder in unmittelbarer Umgebung von solchen leben.

Auf dem gewerblichen Sektor ist in den letzten Jahren eine merkliche Tendenz zur Gründung von selbständigen Existenzen festzustellen. Auch auf sozialrechtlichem Gebiet wurden manche Erleichterungen gewährt (Pensionen, Renten); die Altersversorgung der ehemals Selbständigen ist jedoch nach wie vor ungeregelt.

Zusammenfassend darf festgestellt werden, daß seit 195 3 etwa ernsthafte Bemühungen des In- und Auslandes im Gange sind, das österreichische Flüchtlingsproblem einer mählichen Eingliederungslösung zuzuführen. Eine . umfassende — nicht nur vom Materiellen her gesehene — Eingliederung dürfte jedoch nur dann gelingen, wenn die strukturellen Eigenarten der einzugliedernden Gruppen mehr als bisher berücksichtigt werden.

Die obenstehenden Ausführungen des Verfassers erscheinen soeben in Broschürenform unter dem Titel ..Strukturelle Wandlungen der Donauschwaben im Lande Salzburg“, Europäische Forschungsgruppe für Flüchtlingsfragen, Sektion Oesterreich (Professor Dr. O. Fol-berth), Salzburg, Hellbronner Allee 53.

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