6604557-1954_10_02.jpg
Digital In Arbeit

Einer verstummte

Werbung
Werbung
Werbung

An einem Samstag um die Mittagsstunde, in einer stillen Straße der Wiener Innenstadt: Ein riesiges Personenauto hält vor einem der wenigen Wohnhäuser, und dann beginnt der Fahrer so laut wie möglich zu hupen, in der leicht erkennbaren Absicht, irgendeinem Freund in dem betreffenden Haus anzuzeigen, daß er da sei. Er hätte sicher noch lange gehupt, wenn nicht ein Vorübergehender ihn energisch gefragt hätte, ob er denn gar keine „Kinderstube“ besitze? Wenn er jemanden abholen wolle, möge er gefälligst die wenigen Stufen steigen und an der Wohnungstür läuten. Nach dieser Strafpredigt gibt der Fahrer sogleich das Hupen auf und starrt nur finster vor sich hin. E i n Kampf gegen den Lärm ist gewonnen.

Wieviel „Schlachten“ aber gehen täglich verloren, weil jene Autolenker, die nicht an ihre Mitmenschen denken und rücksichtslos von ihrer Hupe Gebrauch machen, von niemandem zur Rede gestellt werden? Wie für Rom müßte deshalb auch für Wien und alle größeren Städte Oesterreichs ein generelles Hupverbot erlassen werden, das endlich durch empfindliche Geldstrafen rücksichs- losen Autofahrern die Lust am Quälen ihrer Mitmenschen abgewöhnt.

Blendende Aussichten

Der österreichische Kassenarzt verdient monatlich durchschnittlich 6000 S, erklärte kürzlich ein Mann der Krankenkasse im Radio. „Armer Teufel“, dachte sich ein Hörer in New York, der schnell diesen Betrag in Dollars umrechnete und mit dem Lohn eines Pflasterers in den Staaten verglich. „Krösus“, dachte ein österreichischer Patient. „Mir neu“, dachte ein niederösterreichischer Kassenarzt.

Er verdient also 6000 S. Die Statistik lügt nicht. Sie frisiert nur. Sie dividiert die „Gesamtarztkosten“ durch die Zahl der Aerzte. Und vergißt die Ausgaben für die Ambulatorien, für die Chef- und Kontrollärzte abzuziehen. Wie hoch dieser Posten ist? So unwichtige „Details“ hüten die Kassen wie das Geheimnis der Super-Kobalt-Wasserstoff- Atombombe.

Jedenfalls haben in Niederösterreich acht Kassen durch eine gemeinsame Verrechnungsstelle 33,3 Millionen an die Aerzte ausgezahlt. Dazu kommen die Honorare anderer Kassen. Jedenfalls erhält der einzelne Arzt nicht 6000, auch nicht 5000 S, wir machen es viel billiger, einmalige Okkasion, meine Herrschaften, wir machen es um 4500 S im Monat. Durchschnittlich. Brutto.

Leider waren von den 33 Milliönchen 5,1 Weggebühren und 1,7 Röntgenunkosten. Bleiben dem Arzt also nicht 4500, sondern 3600 S monatlich. Wenn er so vermessen ist, mit 13 Monatsgehältern zu rechnen, sind es 3000 S.

Immerhin ein erkleckliches Sümmchen. Auf in den Hörsaal, wir werden Aerzte, wir werden uns an den Leiden der Menschheit mit 3000 S im Monat bereichern!

Aber wir brauchen auch keine Ordination zu heizen, wir zerbrechen keine Spritzen, engagieren keine Ordinationshilfe, kaufen keine Injektionsnadeln… Und außerdem verdient die Hälfte der Aerzte weniger als den Durchschnitt. 17 Aerzte der niederösterreichischen Gebietskasse bezogen weniger als 1000 S im Monatsdurchschnitt, 216 bekamen 1650 und 171 bis zu 3000 S. 164

brachten es auf Spitzenverdienste von mehr als 5000 S.

Apropos Spitzenverdienst. Darunter versteht man. das Bruttoeinkommen eines Röntgenologen zum Beispiel. Oder eines anderen. Spezialisten; auf das Honorar von elf derartigen Spitzenverdienern entfallen 1,5 Millionen Schilling anerkannter „Unkosten“. Und selbst unsere großzügigen Finanzämter haben anerkannt, daß überhaupt die Hälfte aller ärztlichen Einkommen im Durchschnitt als „Regien“ abzuziehen ist.

Viel kann man also als Arzt nicht verdienen. Aber dafür führt man ein beschauliches Landleben … 275 Kassenscheine rechnet so ein Arzt im Monat ab, auf jeden Schein kommen etwa sechs Ordinationen oder drei Visiten. Er bekommt also 2,72 S für jede Ordination. Oder 6.20 S für die Bereitschaftsstunde. Und dafür hat er sich mehr als ein Jahrzehnt geplagt und .durchgehungert und — womöglich — noch einen Kredit zur Einrichtung der Praxis genommen. Ich werde lieber doch kein Arzt. Trotz der bewußten 6000 S.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung