6612041-1955_06_06.jpg
Digital In Arbeit

Fels in der Brandung

Werbung
Werbung
Werbung

In dem schweren Ringen um Eigenart und Seele, das dem Sonnenland Südtirol zwischen Brenner und Salurn, zwischen Draupforte und Reschenpaß seit der Zerreißung Tirols aufgebürdet ist, steht wie ein Fels in der Brandung ein Mann, der für alle Südtiroler Halt, Stütze und Vorbild geworden ist: der Herausgeber der deutschen katholischen Tageszeitung „Dolomiten“ und Präsident der Verlagsanstalt Athesia, Michael G a m p e r.

Gamper entstammt einem alten Tiroler Bauerngeschlecht. Sein Vater übte im Mittelgebirge unterm Gampenpaß das Schmiedhandwerk aus. Kanonikus Gamper wurde vor nunmehr 70 Jahren in Prissian geboren, einem Dorf hoch überm Etschtal, von dem aus der Blick sich weit übers Land und in seine Geschichte öffnet. Von hier zog er nach Meran zum Besuch des Benediktinergymnasiums, später zum Theologiestudium nach Innsbruck und Trient. Vor 45 Jahren wurde er im Dom zu Trient zum Priester geweiht.

Frühzeitig hatte Gamper die Bedeutung der Presse für die Bewahrung des katholischen Glaubens und der christlichen Sitte im Tiroler Volk erkannt. Schon in seinen ersten Priesterjahren nahm er regen und aktiven Anteil an der Arbeit des kurz zuvor auf dem Oesterreichischen Katholikentag in Wien gegründeten „Pius-Vereins zur Förderung und Verbreitung der katholischen Presse“ und des einheimischen katholischen Presseunternehmens Tyrolia, das von Haus aus eine Südtiroler Gründung war.

Nach dem Ausbruch des italienischen Krieges gegen Oesterreich (1915) sah sich die Tyrolia genötigt, ihren Sitz (und damit auch die Herausgabe und den Druck des Wochenblattes „Tiroler Volksbote“) nach Innsbruck zu verlegen. Dies zog die für Südtirol schwere Folge nach sich, daß die Italiener, die inzwischen im November 1918 das Land besetzt hatten, die Einfuhr des bei dem Volk so beliebten, nun in Innsbruck hergestellten „Reimmichl-Boten“ („Tiroler Volksbote“) nach Südtirol unterbanden. So blieb die dortige bäuerliche Bevölkerung des Landes ein volles Jahr lang ihres geliebten Volksblattes beraubt. Hier mußte rasch Wandel geschaffen werden, sollte die Sache der Kirche und des Deutschtums in Südtirol nicht schweren Schaden leiden. Südtirol mußte seinen eigenen „Volksboten“ erhalten und freilich auch seinen eigenen „Botenmann“. Denn der bisherige „Volksboten“-Redakteur, der kürzlich im Alter von 87 Jahren verstorbene Sebastian Rieger („Reimmichl“), saß nun jenseits der neuen Grenzen. Professor Aemilian Schoepfer, der Gründer und Leiter des Tiroler Presseunternehmens „Tyrolia“ (Brixen), bestellte zu Reim-michls Nachfolger in der Redaktion des geplanten Südtiroler „Bötls“ den jungen Kanonikus Gamper von Bozen.

So erschien vom September 1919 ab in Bozen der neue Südtiroler „Volksbote“. Michael Gamper zeichnete von der ersten Nummer an als verantwortlicher Leiter des Blattes. Schon recht bald sollte sich sein Arbeitskreis erweitern, denn Prälat Schoepfer, selber Südtiroler, war als Abgeordneter des österreichischen Parlaments nach der neuen Grenzziehung ein „Ausländer“ geworden, und die „Tyrolia“, die ihren gesetzlichen Sitz in Brixen hatte, ein „italienisches“ Unternehmen. Sie mußte daher auch einen Präsidenten mit italienischer Staatsbürgerschaft erhalten. Schoepfer gab daher auch die Präsidentschaft der G. m. b. H. „Tyrolia“ an Gamper ab, der damals erst in der Mitte der Dreißigerjahre stand.

Zielbewußt baute dieser nun das katholische Pressewesen Südtirols aus, sicherte dem katholischen Ideengut im Wettstreit der Zeitströmungen die Ueberlegenheit und wirkte entscheidend an der Einigung aller Südtiroler mit.

Als der Faschismus, zur Macht gelangt, mit zunehmender Brutalität sein Entnationalisierungswerk begann und das Eigenleben der Südtiroler immer mehr einengte, wurde Kanonikus Gamper zum unbestrittenen Führer der Volksgruppe, der das Vertrauen aller erwarb und alle Verantwortung auf sich nahm. Er kannte nur den Dienst für seine Kirche, seine Heimat und sein Volkstum und beugte sich keinem Machthaber. Abhold jedem Nationalismus, der europäischen Funktion seiner Heimat sich wohl bewußt, widerstand er allen Versuchungen zu bequemen Kompromissen.

Mit opferbereiten geistlichen und weltlichen Herren verhinderte Michael Gamper das völlige Versinken des eigenständigen Lebens in Südtirol. Besonders verdient machte er sich zur Zeit des Verbotes jeglichen deutschen Unterrichts um den Aufbau des deutschen Notschulunterrichtes (Katakombenunterrichtes). Als schließlich das gesamte deutschsprachige Pressewesen verboten wurde, konnte er mit Unterstützung des Heiligen Stuhles wenigstens ein beschränktes Schrifttum in deutscher Sprache retten.

Der Lebenskampf des Südtiroler Deutschtums erreichte seinen Höhepunkt, als Mussolini und Hitler sich zum größten Attentat gegen die Südtiroler vereinten: zur Politik der Aussiedlung. Ein geradezu dämonisches Unterfangen war es, die Umsiedlung auf Grund der „freiwilligen“ Entscheidung der Beteiligten „durchzuführen“. Um die „Freiwilligkeit“ zu erreichen, wurden alle Register der Propaganda gezogen.

In dieser schwersten Krise des Südtiroler Deutschtums stellte sich Kanonikus Gamper mit einer kleinen Schar Gleichgesinnter der nationalsozialistischen „Heim-ins-Reich“-Propaganda in den Weg. Er beschwor seine Landsleute, der Heimat ihrer Väter die Treue zu halten und gerade in dieser entscheidenden Stunde das Land nicht zu verlassen.

Es mögen kaum 50.000 von mehr als einer Viertelmillion deutscher Südtiroler gewesen sein, die den Lock- und Drohrufen der Beauftragten des Dritten Reiches standhielten und sich in einem nicht leicht gemachten Bekenntnis für das Verbleiben in der Heimat erklärten. Aber diese verhältnismäßig wenigen „Bleiber“ konnten später — nach 1945 — den Kern abgeben für die anderen viel zahlreicheren „Bleiber“ — es waren mehr als 150.000 —, die, obwohl Optanten für Deutschland, durch den Kriegsverlauf vor dem Abtransport in das Dritte Reich glücklich verschont geblieben waren.

Wegen seiner Gegnerschaft gegen die Option für das Dritte Reich und die Umsiedlung dorthin zog Kanonikus Gamper den Zorn des Nationalsozialismus auf sich. Er erscheint als „Volksfeind Nr. l“ in einem amtlichen nationalsozialistischen Dokument. Als Hitler in der Nacht vom 8. auf den 9. September 1943 auch von Südtirol Besitz ergriff, fahndeten seine Häscher unverzüglich nach Gamper. Aber es gelang ihm, dem Netz zu entschlüpfen. Zunächst fand er Zuflucht in einem abgelegenen Bergort der Heimat, zwei Monate später hat ihn ein hoher Offizier der deutschen „Abwehr“ auf einer Dienstfahrt nach Mittelitalien „entführt“, wo er für zwei Jahre untertauchte. In den Fahndungsbüchern der Gestapo, die Ende 1944 gedruckt wurden, steht noch sein Name unter jenen, nach denen unentwegt gesucht werden sollte. Nach dem Zusammenbruch kehrte Gamper in die Heimat zurück. Dort begann er sofort den Wiederaufbau der Verlagsanstalt „Athesia“. Sie war von den Nationalsozialisten beschlagnahmt, ihre Gebäude von Bombeneinschlägen in Trümmer gelegt. Aber sie erstand

wieder, mit ihren Buchhandlungen, der Tageszeitung „Dolomiten“, den Wochenblättern „Volksbote“ und „Katholisches Sonntagsblatt“, den Zeitschriften „Jugendwacht“, „Die Frau“ und „Der Schiern“ und mit dem „Reimmichl-kalender“.

Auch im demokratischen Italien war der Nationalismus keineswegs geschwunden; die Wiedergutmachung des faschistischen Unrechts galt es zu erstreiten, das Lebensrecht der Südtiroler weiter zu sichern. Im Bewußtsein, daß Not des Volkstums seelische Not ist, hatte Kanonikus Gamper seine Arbeit begonnen; nun wurde sie ihm weiter aufgebürdet. Volkstum-erhaltend und völkerverbindend, so strebt er, als Diener an der übernationalen Gemeinschaft der Kirche, die farblosen Internationalismus ebenso ablehnt wie überhitzten Nationalismus, den ihm zugeteilten Auftrag zu erfüllen. Er bekämpft den Nationalismus und arbeitet für Europa, zu dessen wichtigen Brückenlandschaften Südtirol zählt.

In den „Dolomiten“ hat Kanonikus Gamper eine weit über die Grenzen des Landes hinaus beachtete Tageszeitung geschaffen und damit auch ein Mittel, Südtirols Anliegen in der Welt bekanntzumachen. Er erstrebt eine Beendigung des 1918 ins rein deutschsprachige Südtirol getragenen Volkstumskampfes durch Verwirklichung einer echten Autonomie, wozu außer der Loyalität Südtirols auch Loyalität Italiens erforderlich ist. In diesem Streben leitet ihn nicht allein die Sorge um Heimat und Volkstum, sondern auch die Erkenntnis, daß die Bindung der Kräfte Südtirols im nackten Existenzkampf (seit 1918) dem religiösen Leben wertvolle Kräfte entzogen hat, so daß es hoch an der Zeit ist, daß diese wieder der Entwicklung des in Tirol so blühenden Kirchenwesens zugeführt werden können.

In allen seinem Wirken ist Michael Gamper stets Seelsorger gewesen. Jahrelang hat er nach Uebernahme der Pressearbeit noch Religionsunterricht an den Bozener Volks- und Mittelschulen erteilt, bis er erkennen mußte, daß die Bewältigung beider Aufgaben nebeneinander über seine Kräfte ging und die Arbeit für die Presse den ganzen Menschen forderte.

Kanonikus Michael Gamper, einer jener Priester, die aus dem christlich-abendländischen Bewußtsein heraus entscheidenden Anteil an der Bewahrung ererbten Lebensgutes haben, steht in einer Reihe mit Don Luigi Sturze Prälat Ignaz Seipel, Bischof Prohazka und anderen Kirchenmännern in umkämpften Zeiten und Landstrichen, aber auch in der Reihe der großen Tiroler Priester von Arbeo von Freising (der in Mais bei Meran beheimatet war) bis hinauf zu Beda Weber, Kardinal Franzelin, Bischof Tschiderer und dem jüngst verstorbenen Reimmichl.

Die Verlagsanstalt Athesia überreicht Kanonikus Gamper am 7. Februar die von einem Freundeskreis verfaßte Festschrift „Südtirol im Blickpunkt einer Zeitenwende“. In der Reihe der Schiernschriften erscheint als 140. Band der von rund 40 Autoren dem Ehrenmitglied der Universität Innsbruck gewidmete Sammelband „Südtirol — Land europäischer Bewährung“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung