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Kritik der Kritik der Kritik . . .

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Das Wiener Konzert- und Lesepublikum war während der letzten Wochen Zeuge eines Scharmützels zwischen den Veranstaltern einer bestimmten Konzertreihe und einem Teil der Wiener Musikkritiker. Der Tatbestand: Die ..Oesterreichische Gesellschaft für zeitgenössische Musik“ hatte einem ihrer Programme eine Art Flugblatt beigelegt, in dem unter dem Titel „Wer hat recht?“ zwei positiven Stimmen über ihre Veranstaltungen zwei negative gegenübergestellt wurden, mit der Absicht, die letzteren durch die ersteren „auszupunkten“. Daran schloß sich, auf dem Flugblatt, ein recht polemischer und „persönlicher“ Kommentar, zu dem mehrere Kritiker in ihren Blättern Stellung nahmen. Hierauf, beim nächsten Konzert, ein zweites Flugblatt der OeGZM mit dem Titel „Ist die OeGZM marx-istisch?“, und hierauf wieder eine Replik in einer Zeitung ...

Was soll man dazu sagen?

Wenn die Veranstalter in acht Konzerten im Laufe einer Spielzeit einige Dutzend Werke ihren Mitgliedern präsentieren, so müssen sie damit rechnen — und wissen es wohl auch selbst! —, daß nicht alles Dargebotene über alle Kritik erhaben ist, mit anderen Worten: daß sich auch Spreu unter dem Weizen findet. — Jede Veranstaltung, jeder aufgeführte Komponist hat ein Anrecht auf objektive, nicht aber auf eine von vornherein nachsichtige Beurteilung seiner Werke, auch wenn er ein österreichischer Komponist ist und auch wenn die Kritiker österreichische Kritiker sind. — So begreiflich der Wunsch aller Komponierenden ist, aufgeführt zu werden, und so wünschenswert es für die Kritiker sein mag, einmal recht zahlreiche Proben, gewissermaßen einen Querschnitt durch das zeitgenössische österreichische Musikschaffen kennenzulernen: es gibt halt in der Kunst nur einen Maßstab. Der Kritiker soll, unserer Meinung nach, auch über österreichische Komponisten frei seine Meinung äußern dürfen, ohne befürchten zu müssen — wenn sein Urteil negativ ausfällt —, des mangelnden Patriotismus, der Fremdländerei oder des Snobismus bezichtigt zu werden.

Aber er soll, was er zu sagen hat, höflich und mit Besonnenheit sagen. Das darf jeder Künstler, ob groß oder klein, von ihm erwarten. Denn schließlich gibt auch der Dilettant sein ..Bestes“ und hat Anspruch auf gewisse gesittete Umgangsformen.

Und hier liegt, wie uns scheinen will, der Hase im Pfeffer. Während der letzten Zeit macht sich nämlich in der Wiener Kunstkritik — ganz allgemein — ein Ton bemerkbar, den man als recht rüde bezeichnen muß. Immer häufiger tritt die Kritik „in Hemdärmeln“ auf. Da wird zum Beispiel über eine Aufführung der Staatsoper in der Volksoper unter dem lapidaren Titel „Opernschmiere und Negerstar“ berichtet; und von einem angesehenen Dirigenten, dem man immerhin einige Abende bei den Bayreuther Festspielen anvertraut hat, heißt es, daß er „mit einem imaginären Bierkrügel unter dem Pult“ musiziere. Solche aus ungenügender Erfahrung und mangelnder Kinderstube resultierende Respektlosigkeiten sind keinesfalls geeignet, das Ansehen der Kritik zu fördern oder den Künstlern zu imponieren, geschweige denn, sie zu überzeugen. Was Wunder also, daß die Betroffenen ebenso replizieren? Kritiker sind, ihr lieben Kollegen, sowieso nicht beliebt. Und Künstler sind nun mal ein recht empfindliches, zartbesaitetes Völkchen. Je unbedeutender, um so mimosenhafter, das ist wohl ein Naturgesetz.

Aber zurück zu unserem Ausgangspunkt. Wie soll diese Kontroverse enden, wohin soll sie führen?

Wir meinen — und wiederholen unseren Rat an die Veranstaltenden: daß sie sich auf ihre eigentliche Aufgabe beschränken und alle ihre Energie darauf verwenden mögen, gute Musik zu schreiben und gute Programme zusammenzustellen. Wenn sie glauben, auf Kritik von außen verzichten zu können, oder falls die Kritiker den Eindruck gewinnen, daß in den betreffenden Konzerten nur diejenigen willkommen sind, die nur loben — so wären daraus die Konsequenzen zu ziehen. Beiderseits.

Soweit ist es aber noch nicht.

Daher, zur Beendigung der Kontroverse, für diesmal, bis zum nächsten Streich, eine kleine Geschichte. Marius, das bekannte Marseiller Original, erhielt nach einem lebhaften Wortwechsel von seinem Gegner eine Ohrfeige, gab sie zurück — und erhielt prompt wieder eine. Darauf wandte er sich gelassen um und schritt von dannen. Einem Freund, der erstaunt diesen Vorgang beobachtet hatte und Marius um eine Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten bat, sagte der biedere Marseillais: „Ich wurde geschlagen — und habe zurückgeschlagen, und wurde wieder geschlagen. Wie, mein Freund, sollen wir damit je zu Ende kommen?“

. . . ruft's aus dem Wald

Unsere Lehrer haben es nicht leicht mit dem Muttertag in der Schule. Es ist ein nicht sehr natürlich gewachsener „Feiertag“, in dem sich schöne Urempfindungen der Menschen mit neuzeitlicher Geschäftlichkeit, Religiöses mit Weltlichem, Zartestes mit Geräuschvollem mischen. So kommt es, daß wohl jeder Ort, jede Schule, ja vielleicht jede Klasse die Kinder anders „vorbereitet“, weil eben ein jeder Lehrer darüber seine eigenen Gedanken und Empfindungen hat.

So aber, wie es der sozialistische Junglehrer an. der 2. Klasse der Hauptschule in St. Johann im Pongau gemacht hat— Hand aufs Herz, so geht es wirklich nicht. Die sonstige Beschreibung des Lehrers ist gut, seine Prüfungen hat er mit Vorzug gemacht, aber die nachstehenden Verse, die er mit den Kindern exerziert hat — die hat „ka Go.ethe gschriebn“, die „hat ka Schiller dicht“. Aber hören wir ihn selbst:

Zum Muttertag Muttertag ist's. Tralala! Wie die Voglern singen, Um in aller Morgenfrüh Ein Ständchen dir zu bringen. Irgendwo im grünen Hort •.

Ruft es laut soeben Kuckuck, Kuckuck immerfort: , Wirst noch lange leben.

Das ist bitter, bitter. Erst singen die Vöglein — was denn nur, doch nicht Tralala? Und dann der Kuckuck — es wird doch nicht... aber nein, wir feiern ja soeben den 10. Jahrestag der Luft-schutzlosigkeit. Wie werden die solcherart auf Poetik gedrillten Kinder einmal singen und sagen? Sie wissen ja, bitte, Herr Lehrer: Wie man in den Wald ruft.. .

Aber trösten wir uns mit der (abgeänderten) Schlußzeile. Sei ruhig, holdes Poem: Wirst nicht lange leben .. .!

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