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Nachtwache in Ungarn

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Der fremde Besucher wird, falls er Katholik ist, in einem Land des Ostblocks nicht umhin können, sich die Frage zu stellen und zu beantworten versuchen, ob und wie weit es den Katholiken möglich ist, ein religiöses Leben in diesen Ländern ungehindert zu führen. Ein kurzer Aufenthalt kann natürlich kaum mehr als persönliche Eindrücke und Wahrnehmungen vermitteln, die durch gelegentlich geführte Gespräche mit Einheimischen unterstützt werden können. Der Schreiber dieser Zeilen hielt sich auch vor drei Jahren wenige Tage in Ungarn auf. Dieser Aufenthalt soll bei den jetzt gewonnenen Eindrücken zum Vergleich herangezogen werden.

Das erste persönliche Erlebnis: Die Kirchen, sowohl die katholischen als auch die protestantischen, sind in Budapest an Sonn- und Feiertagen mit Gläubigen überfüllt, eine Tatsache, die schon vor drei Jahren festzustellen war. Das hört man übrigens auch aus anderen Ländern des Ostblocks. Nie fühlt sich der seelisch bedrängte Mensch mit seiner Religion, mit seiner Kirche so eng verbunden, als wenn sich auch seine Kirche bedrängt fühlt.

Es ist Sonntag. Die Franziskaner-kirche inmitten der inneren Stadt von Budapest ist bis auf den letzten Platz mit Gläubigen gefüllt, von denen viele zur heiligen Kommunion gehen. In dieser Kirche predigt an Sonntagen ein bejahrter Priester, der der älteren Generation durch sein früheres Wirken für die katholische Jugend bekannt ist. Auch heute gilt er als wahrer Führer seiner Glaubensgenossen und ist Herausgeber der katholischen Monatsschrift „Vigilia“. Sein Name ist Alexander S i k.

Man hat nach den ersten informativen Gesprächen den Eindruck, daß die Lage der Katholiken ruhiger geworden ist und daß Probleme, die noch vor drei Jahren nicht nur die ungarische Öffentlichkeit, sondern auch die des Auslandes stark beunruhigt hatten, an Schärfe verloren haben. Vor drei Jahren beschäftigten besonders zwei Ereignisse auch die Weltöffentlichkeit: der Ausschluß einer verhältnismäßig großen Anzahl von Alumnen aus dem Budapester Priesterseminar und die von der Regierung eeforderte und erreichte Eidesleistung der Bischöfe auf die derzeitige Verfassung. Die damaligen Schwierigkeiten wurden noch durch eine dritte erweitert: durch das Entstehen und Wirken der Bewegung der Friedenspriester. Diese schienen die Einheit der katholischen Kirche in Ungarn zu bedrohen.

In den jetzt geführten Gesprächer mit maßgeblichen katholischen Persönlichkeiten wird stark bemängelt, daf in publizistischen Organen des Auslandes die Probleme des ungarischer Karholizismus oft bewußt kritisch statt wohlwollend behandelt und beurteilt werden. Es fehlt das Verständnis für die tatsächliche Lage, für diGegebenheiten im Lande.

Die darum Gefragten umreißen ihrer Standpunkt wie folgt: „Uns, die wir hier leben, sind unser teurer, vielleicht unser teuerster Schatz jene tausende und abertausende heilige Messen, die unsere Priester an Sonntagen in den vielen tausenden Kirchen feiern. Wir sind auf diese Weise vereint mit der Kirche Christi, mit allen Mitteln Seiner Gnaden, mit allen Seinen Lehren, Seinen Sakramenten, mit der ganzen kirchlichen Disziplin. Wer das im Ausland nicht weiß, ist entweder kein gläubiger Mensch oder er ist ein un-orientierter Christ...“

Wirkliche Besorgnis herrscht in der Frage der Besetzung der bischöflichen Stühle. Bisher hat man versucht, mit provisorischen Lösungen auszukommen. Ein Gesetz aus dem Jahre 1957 regelte die Frage der staatlichen Zustimmung zur Besetzung von Stellen höherer kirchlicher' Funktionäre, die diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen erschienen erst im April 1959. Bald darauf erfolgte dann die feierliche Eidesleistung der katholischen Bischöfe auf die Verfassung der Ungarischen Volksrepublik. Unter Führung des inzwischen verstorbenen Erz-bischofs von Kalocsa, Josef G r ö s z, versammelten sich im Budapester Parlament die Diözesan- und Weihbischöfe, Erzäbte und Provinziale der noch bestehenden Orden. Bei dem feierlichen Akt waren auch die Führer der „Friedensbewegung der katholischen Priester“ anwesend.

Soweit es bekannt ist, ergaben sich in den verflossenen drei Jahren seit der Eidesleistung keine besonderen Schwierigkeiten zwischen Kirche und Staat. Die Sorgen, die heute die Katholiken ybesonders erfüllen, betreffen — wie oben angedeutet — die Nachfolgefrage der Bischöfe. Sämtliche Kirchenfürsten stehen in hohem Alter, mehrere von ihnen sind bekanntlich an der Ausübung ihres Amtes durch, den Staat gehindert, die Zeit aber erfordert jüngere Kräfte, die den Aufgaben der heutigen, sicherlich nicht leichten Lage durch eine entsprechende seelische und körnerliche Konstitution gewachsen sind.

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