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Politische Prozesse vor Militärgerichten

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Die Debatten des Reichsrates hatten überdies ein besonderes Moment ergeben: lebhafte Proteste und Rechtsverwahrungen gegen politische Prozesse, die im Hinterland gegen Zivilpersonen von Militärgerichten geführt worden waren oder noch geführt wurden. Die Anklage lautete meist auf Hochverrat, begangen durch politische Taten oder Äußerungen. Verhandelt wurden diese Prozesse vor Militärsenaten, die bei den Friedenskommandostellen der k. k. Landwehrdivisionen aufgestellt waren. Im Parlament wurde von einigen Abgeordneten die rechtliche Zuständigkeit dieser Landwehrdivisionsgerichte angezweifelt, noch weit mehr Parlamentarier polemisierten heftig gegen die Methoden dieser Gerichte, in denen sie ein Werkzeug nationaler Unterdrückung sahen.Insbesondere das militärgerichtliche Todesurteil gegen den tschechischen Abgeordneten und späteren Minister Karel Krmaf, dem 1916 vorgeworfen worden war, er plane ein Königreich Böhmen unter einem russischen Großfürsten, begegnete lebhafter Opposition, aber auch starken Zweifeln vom juristischen Standpunkt. Es muß dazu festgestellt werden, daß die zahlreichen Kritiker zweifellos den Bogen stark überspannten. Während eines Krieges konnte die Zuständigkeit der Militärgerichte wohl in vielen Fällen als nicht angebracht, aber kaum als unrechtmäßig bezeichnet werden, und Verfahrensmängel und Übertreibungen, die es gewiß gegeben hat, wären gewiß auch bei ordentlichen zivilen Gerichten vorgekommen, schon, weil derartige politische Delikte juristisch meist schwer faßbar sind. Ganz allgemein aber vergiftete die Polemik gegen die Militärjustiz die politische Atmosphäre derart, daß Kaiser Karl auch aus politischen Ursachen beschloß, , durch eine allgemeine Amnestie für Hochverratsdelikte ein weithin sichtbares Zeichen der Versöhnung und des Neuibeginnes im Verhältnis der österreichischen Völker zueinander aufzurichten. Am 1. Juni 1917 beauftragte er seinen Kabinettsdirektor Graf Arthur Pol-zer-Hoditz mit dem Studium der Prozeßakten beim Wiener Landwehrdivisionsgericht. Bereits am 4. Juni erstattete Polzer dem Monarchen einen ausführlichen Bericht. Die Zeitspanne, die bis zum nächsten, entscheidenden Schritt verlief, zeigt deutlich, daß Kaiser Karl die Amnestie nicht etwa übereilt, in einem Augenblick der Gefühlsaufwallung erlassen, sondern daß er diesen Staatsakt ziemlich lange überlegt hat. Denn erst am 29. Juni erfuhr der Kabinettsdirektor zuerst vom Ministerpräsidenten, dann vom Kaiser selbst, daß die Amnestie eine beschlossene Sache sei. Sie sollte die psychologische Voraussetzung für einen Umbau des Staates im Sinne der nationalen Autonomie schaffen und nicht nur im Innern versöhnend und beruhigend wirken, sondern auch der feindlichen, von der Emigration betriebenen und von den Regierungen der Entente geförderten Agitation den Boden entziehen.

Die . Amnestie, ursprünglich für 17. August geplant, wurde auf Wunsch Seidlers auf den 2. Juli vorverlegt, um die Verhandlungen des Justizausschusses des Reichsrates noch zu beeinflussen, die an diesem Tage begannen. Der Gnadenakt fand im Justizausschuß allgemeine, ja begeisterte Zustimmung. Die späteren Reaktionen bewiesen jedoch, daß die Absichten des Kaisers nur von ganz wenigen verstanden worden waren. Daß Armeekreise gegen die Amnestie waren und sie als unzeitgemäße Schwäche, ja als eine Art Affront empfanden, soll hier nicht kritisert, sondern nur festgestellt werden, weil es durchaus verständlich ist und eigentlich gar nicht anders sein konnte. Es ist aber wahrhaft tragisch und spricht in geradezu erschreckender Weise gegen den Geist der damaligen Zeit, daß die erhoffte Wirkung, die Anbahnung der nationalen Versöhnung, in keiner Weise eingetreten ist. Wenn Graf Polzer-Hoditz in seiner Darstellung vor allem deutschnationale Einflüsse für dieses Scheitern der Absichten des Kaisers verantwortlich macht, so ha*, er damit leider keineswegs unrecht. Aber auch jene zumeist slawischen Politiker, denen die Amnestie unmittelbar zugute kam, sahen sich durchaus nicht veranlaßt, ihre Haltung zu ändern. Sie wußten, daß die Entente Österreich-Ungarn zur Zerstückelung verurteilt hatte, und waren entschlossen, daraus jeden Vorteil zu ziehen.

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