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Proze ß in Ungarn

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Von Ereignissen freundlicherer Art — etwa vom FuBballanderspiel am Sonntag — zeitweilig iiberschattet, findet in Budapest ein ProzeB statt, bei dem 13 Personen, darunter acht katho- lische Priester, auch Mitglieder auf- geldster Orden, der „staatsfeindlichen Tatigkeit zum Sturz der Ungarischen Volksrepublik" angeklagt sind. Dieser ProzeB heute, im Friihsommer des Jahres 1961, ist fiir viele — huben wie driiben — eine arge Verlegenheit. Wien hat soeben mit sehr viel Opti- mismus und im stillen Vertrauen auf einen neuen „Geist von Wien" das Gipfeltreffen zwischen zwei Machti- gen der Welt gefeiert. Langst haben es viele Katholiken verlernt, bei der Beurteilung der Lage eine den Geboten ihrer Religion gemaBe Rangordnung der zu verteidigenden Werte wahrzu- nehmen. Andere halten sich nur an die traditionellen MaBstabe, die den neuen Dimensionen und Aufgaben von heute nicht mehr entsprechen. Der ProzeB von Budapest zwingt zu einer

Uberpriifung der eigenen Stellung und hilft, gewisse Tatsachen und Zusam- menhange richtig zu sehen. Auch wenn es sich dabei um schwer meBbare Werte und kaum in ein Schema einzu- reihende Positionen handelt.

Dreihundert warden verhaftet

Die Verlegenheit der Kommunisten mit diesem ProzeB erweist sich an zwei Symptomen. Zum ersten haben die zustandigen Behorden fast ein halbes

Jahr gewartet, bis sie dreizehn von den Anfang Februar bei Nacht schlagartig verhafteten etwa dreihundert Priestern und Laien vor ein Gericht stellten. Zum zweiten sind die Verhandlungen des Gerichtes nur teilweise als offent- lich anzusehen. Sonderbarerweise sind manche Vertreter der Auslandspresse zugelassen, das Inland wurde aber nur uber den Anfang des Prozesses infor- miert. Die aus der Zeit der Schau- prozesse gegen Kardinal Mindszenty und Erzbischof Grosz noch in Erinne- rung gebliebenen Sensationsberichte in Wort und Bild fehlen jetzt vollig, es finden auch keine Protestversammlun- gen in Betrieben statt, und kein Propagandist schrieb diesmal Leitartikel gegen „S61dlinge des Vatikans" wie damals. Die Zeiten anderten sich.

Die Veranderungen erstrecken sich freilich zunachst nur auf die Methoden. Gewisse humanitare Grenzen bei den Verhoren und in der Behandlung der Haftlinge diirften eingehalten worden sein. Und es ist auch damit zu rech- nen, daB niemand ohne gerichtliches Urteil jahrelang gefangengehalten wird. Aber die Absichten sind, ein- gestandenermaBen, dieselben geblieben.

Den Angeklagten des Budapester Prozesses wird, laut Anklageschrift, zur Last gelegt, eine Organisation christ- licher Jugendlicher gegriindet zu haben, deren Mitglieder „in einer kiinftigen christlichen Republik Ungarn fiihrende Positionen erhalten" sollten, wenn „eine auslandische Macht" diesen ..christlichen Staat" er- richtet haben wurde. Soweit der politische Teil der Anklage. Die Fragen des vernehmenden Richters zeigen aber auch etwas anderes. Es ist da zum Bei- spiel von „heimlich“ erteiltem Privat- unterricht in Katechismuskunde die Rede. Auch Besitz und Verteilung von theologischen Schriften, die aus dem Ausland durch die offentliche Post zu den Adressaten gelangten und bei den Hausdurchsuchungen beschlag- nahmt wurden, sind Gegenstand von richterlichen Fragen. Damit wird zum *wMii? Wtsver', listen aus dem Westen, in einem kom-, munistischen Staat die religiose, prie- sterliche Betatigung als solche einem Angeklagten zum Vorwurf gemacht.

Zweifellos handelt es sich dabei von seiten der Gerichtsbehorde um eine Fehlleistung, die friihestens in dem zu erwartenden Urteilsspruch berichtigt und durch Zitate aus kommunistischen Gesetzbiichern iiberdeckt werden diirfte. Nach allem jedoch, was man bisher uber den ProzeBverlauf, von den Fragen des Richters und den Ant- worten der Angeklagten horte, wird es dem Budapester Gericht schwer-

fallen, ein Urteil zu fallen und das Urteil bekanntzugeben. Es mussen da- her schwerwiegende Grunde vorliegen, wenn die kommunistischen Behorden diesen ProzeB trotzdem durchfiihren. Sie haben zwar versucht, dem ganzen schwierigen, fiir sie kaum faBbaren Komplex einen politischen Anstrich zu geben, um ihn auf diese Weise leich- ter in den Griff zu bekommen. Dies ist aber grundlich mifilungen. Niemand wird, trotz der angeblichen Gestand- nisse und Teilgestandnisse, ernstlich daran glauben, daB sich junge Kleri- ker und Studenten zusammengetan haben, um fiir eine spatere „Macht- ergreifung" christlicher Krafte Elite- kader auszubilden, damit diese dann die „fiihrenden Posten" im Staate be- setzten. So naive Vorstellungen von Staat und Machtergreifung werden gerade die Angeklagten, bei denen es sich offensichtlich um eine wirkliche christliche Elite handelt, nach all den

Erlebnissen und politischen Erfahrungen des letzten eineinhalben Jahrzehnts kaum haben. Den wesentlichen Kern der „Delikte“ hat vielmehr die Antwort des Paters Lenard enthiillt, der auf die Frage des Richters, ob er wohl seine priesterliche Tatigkeit illegal ausgeubt und Jugendliche in Religion unterwiesen habe, geantwortet hat: „In dieser materialistischen Gesellschaft, in der wir leben, steht das Individuum unter groBem Druck. Fur einzelne Leute, die diesem Druck be- sonders ausgesetzt sind, ist es un- moglich, ihre Kinder offen zum Reli- gionsunterricht zu schicken. So habe ich denn das Evangelium privat ver- breitet. Aber wenn es moglich ist, Musikunterricht privat zu geben, warum soli es dann verboten sein, das Evangelium privat zu unterrichten?"

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