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Um die heiligen Stätten

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Wir erhalten aus Jerusalem von unserem dortigen Mitarbeiter das nachfolgende Situationsbild, das, vor der zweiten Waffenruhe in Palästina am 16. Juli geschrieben, die Lage zur Zeit der letzten Kämpfe wiedergibt und nach den vollzogenen Zerstörungen ein Resümee gibt, dessen Bitter, keit nicht unbegründet ist. pur

Viele StuAden meiner Tage und Nächte verbringe ich in der Mansarde des verlassenen amerikanischen Missionshauses, das nun mein siebenter Wohnsitz im belagerten Jerusalem geworden ist. Während einer fast ununterbrochenen Kanonade ist diese Dachkammer kein empfehlenwerter Arbeitsraum, aber die Tragödie der Zerstörung Jerusalems, die sich vor ihren Luken abrollt, hat eine unheimliche Faszination.

In Lagen und Salven schlagen von den

Hängen des öiberges, von der Terrasse des französischen Hospizes in Bethlehem, von den Olivenhainen im Süden Jerusalems und vor allem aus der ummauerten Altstadt die Mörserbomben und Granaten der Transjordanier und Ägypter in die Neustadt ein, explodieren in schwarzen Wölkchen die Schrapnells über der kubischen Kontur ihrer flachen Dächer, suchen immer wieder die Bomben der ägyptischen Flieger ein Ziel, das mit „militärischen Objekten“ nichts gemein hat.

Und die Explosionswolken des jüdischen Vergeltungsfeuers wallen über der Altstadt Jerusalems auf, dem umwallten Bezirk, der in wenig über einem Quadratkilometer jene Stätten umschließt, für die von den Kreuzzügen bis zum Krimkrieg die Christenheit immer wieder geblutet hat.

So ging es durch einen grimmen Monat vor Bernadottes Waffenstillstand und der neue Akt der Tragödie wird mit einem noch stärkeren Chor agiert. Die Artillerie beider Parteien wurde verstärkt und es ist nicht unverständlich, wenn die Juden das Vernichtungsfeuer von der Altstadt Bombe für Bombe, Granate für Granate erwidern. In den jüdischen Artilleriestellungen amtieren archäologische Experten von Weltruf, welche die Beschädigung historischer Denkmale nach Möglichkeit verhindern sollen. Aber ihre Möglichkeiten sind beschränkt durch die Unverläßlichkeit der Grabenmörser, die vor allem verwendet werden, und durch die Rücksichtslosigkeit, mit der die Araber ihre Artillerie in nächster Nähe der Grabeskirche postiert haben. — Und da die Kirche des Heiligen Grabes nach dem Erdbeben von 1927 niemals wirklich restauriert wurde, dürfte schon eine Explosion in ihrer Nähe genügen, um den notdürftig gestützten Komplex ehr-

würdigster Bauten zum Einsturz zu bringen.

All das ist der Welt seit Monaten bekannt. Jeder Tag kann zur Vernichtung der heiligen Stätten führen. Aber der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ließ sich allzulange aus der Weitschweifigkeit seiner Diskussionsfreudigkeit nicht aufrütteln. Es ist wahrscheinlich, daß ein neuer Waffenstillstand in Palästina durchgesetzt sein wird, wenn dieser Bericht den Leser erreicht. Aber viel nicht wieder gutzumachendes Unglück wird bis dahin geschehen sein.

Es war eine der Überraschungen dieses Krieges, daß die heiligen Stätten, um die noch vor einem Jahrhundert ein großer Krieg geführt wurde, die einen der Brennpunkte der orientalischen Frage bildeten, heute kein Problem politischer Realität mehr darstellen. Das Ausscheiden der katholischen Großmächte, in weiterem Sinne die Vernichtung der kaiserlichen Idee, ist dafür verantwortlich. Keiner der Monarchen,

die sich als Wardeine West- und Ostroms fühlten, hätte eine Bedrohung Jerusalems dulden können. Für die heutigen Großmächte, so auch für Sowjetrußland, wurde die Heiligkeit Jerusalems nicht mehr als ein Aspekt eines an sich leidigen Problems.

Kein Zweifel, die heiligen Stätten sind noch immer ungezählten Millionen teuer, aber sie sind als kein politisches Problem mehr in diesen schrecklichen Monaten empfunden worden.

Die Ruinen, die dieser Krieg zurücklassen wird, werden Millionen, denen die Kirche des Heiligen Grabes noch immer mehr bedeutet, als ein interessantes mittelalterliches Bauwerk, eine Erinnerung daran sein, daß künftig nie der Vorhalt wird schweigen dürfen, daß eine berufene Vertretung der Kulturinteressen der christlichen Welt im Rate der Vereinten Nationen schmerzlich vermißt wird.

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