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VINCENZ LUDWIG OSTRY / WELTPOLITIK - OBJEKTIV BETRACHTET
Am 11. März 1938, am Tag der Besetzung Österreichs, stellte der „Wiener Tag“ sein Erscheinen ein. Die letzten Chefredakteure waren Vincenz Ludwig Ostry und Rudolf Kalmar. Beide hatten in der Geschichte der österreichischen Presse noch nicht ihr letztes Wort gesprochen. Unmittelbar nach Kriegsende, im Mai 1945, begann Vincenz Ludwig Ostry seine Tätigkeit als außenpolitischer Kommentator. Weltpolitik, ihre Hintergründe, ihre Verwicklungen, ihre drängenden Fragen sind für den Österreicher seither fast untrennbar mit der Diktion und der Stimme Ostrys verbunden.
Der Nestor des österreichischen Journalismus wurde am 19. Juli 1897 in Hütteldorf als Sohn eines Bankbeamten geboren. Noch als Schüler des Schottengymnasiums wurde er einberufen. Nach Kriegsende begann er in Wien Rechtswissenschaften zu studieren, folgte jedoch noch vor Studienabschluß dem väterlichen Beispiel und trat in eine Bank ein. Schon im Schottengymnasium hatte er Gedichte und Kurzgeschichten verfaßt, die zum Teil unter einem Pseudonym veröffentlicht wurden. Dieser seiner journalistischen Ader gehorchend wechselte er von der Bank zunächst in die Redaktion einer Wirtschaftszeitung; bald darauf wurde er volkswirtschaftlicher Redakteur der Tageszeitung „Der Wiener Tag“, deren Leitung er später gemeinsam mit Rudolf Kalmar übernahm. Von der Gestapo kurzfristig verhaftet, wurde er ins Konzentrationslager Buchenwald abtransportiert, 1939 jedoch wieder entlassen und in
Wien unter Polizeiaufsicht gestellt.
Im April 1945 richtete er die Nachrichtenabteilung der damals neugegründeten RAVAG ein. Bereits im Mai darauf verfaßte er seine ersten außenpolitischen Kommentare — eine Tätigkeit, der er mit kurzer Unterbrechung bis heute treu blieb. 1946 übernahm er daneben die Redaktion der Austria-Pr esse-Agentur. In beiden Funktionen scheute er nie das offene Wort — auch und insbesondere gegenüber der sowjetischen Besatzungsmacht. Die sowjetische Zensur hatte sich besonders seit dem Putschversuch im Oktober 1950 deutlich verschärft, der freie Kommentar Ostrys zur Situation in Österreich und in der Welt stieß auf immer größere Schwierigkeiten. Im Einvernehmen mit der österreichischen Bundesregierung übersiedelte Ostry zur amerikanischen Sendergruppe Rotweißrot.
Mit Anfang des Jahres 1957 wurde Ostry Konsülent im Bundespressedienst und übernahm nun im wieder souverän gewordenen Österreich neuerlich den weltpolitischen Kommentar. 1959 berief ihn der Bundespräsident in seine Dienste — Ostry wurde Leiter des Presse- und Informationsdienstes in der Präsidentschaftskanzlei. Erst im vergangenen Jahr zog er sich zurück.
Bis 1959 stand Ostry an der Spitze der Journalistengewerkschaft, als deren erster Obmann er 1946 gewählt worden war. Auf seine Anregung hin wurde bereits 1945 der österreichische Presseklub gegründet, der als Sammelpunkt der in- und ausländischen Journalisten in den Anfängen die in Trümmern liegenden Kaffeehäuser ersetzen sollte. Im Jahr 1958 wurde der Presseklub mit dem Journalisten-und Schriftstellerverein Concor-dia zusammengelegt.
Mit diesen vielfältigen Aktivitäten ist Vincenz Ludwig Ostry, den die Republik mit dem Professoren- und Hofratstitel auszeichnete, zu einer der bleibenden Stimmen in der österreichischen Presse seit 1945 geworden. In der noch zu schreibenden Geschichte der österreichischen Journalistik seit 1945 nehmen Ostrys maßvolle, stets um Objektivität bemühte Kommentare zur Weltlage angesichts des in Österreich, auch in der Publizistik, so häufig unterentwickelten Interesses für das Geschehen jenseits der Grenzen einen wichtigen Platz ein.
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