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Vom Standpunkt der Moral

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EUR POLITISCHEN PRAXIS IN DER BUNDESREPUBLIK. Kritische Betrachtungen Ton 1957 bis 1961. Von Theodor Eschenburg. Piper-Verlag, München. Paperback 280 Selten. Preis 10.80 DM. - KAMPF UM BERLIN. Von Wolfgang Paul Langen-Muller-Verlag, München. „Das moderne Sachbuch.“ 358 Selten, sahireiche Photos Preia 12.80 DM. — AKTION SÜHNEZEICH EN. Von Ansgar S k r IT e r. Kreui-Verlag Stuttgart. Paperback, 151 Selten, 16 Bildtafeln. Preis 8.80 DM. TN

Deutschland hat eine ganze Reihe politischer Moralisten, doch ihre Stimme wird weder im Bundestag noch in den Parteivorständen gehört, sondern allenfalls im Fernsehen oder in Vorträgen, hauptsächlich aber werden sie gelesen. Diese Möglichkeit nützen sie so, daß man von einer Welle nationaler Selbstkritik in Deutschland sprechen kann. Wenn auch nur in der Literatur.

Professor Eschenburg, dessen Zeitungsaufsätze bei Piper gesammelt vorgelegt wurden, greift nie nach den Sternen. Er fordert nur das Selbstverständliche: ein Minimum an Weitblick und Moral in der Tagespolitik. Es ist eine traurige Genugtuung, die Richtigkeit seiner Analysen, etwa über die Einpar-teienherrschaft im Zweiparteiensystem, über den Eid vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß oder über die Geheimfonds post festum festzustellen. Nadelstiche in die dicke Haut der Macht.

Sie wird darüber hinweggehen wie über die politisch-moralischen Darlegungen von Gudrun Tempel in ihrem Taschenbuch (rororo-aktuell) „Deutschland? Aber wo liegt es? Wiederbegegnung mit einem Vaterland“, die eine Philippika gegen fast alles hält, was der deutschen Schlafmütze heilig ist. Sie wird in der Dokumentation „Aktion Sühnezeichen“ von Skriver ein Alibi erblicken unter dem Motto: „Die Jugend sorgt schon für Deutschlands Ansehen in der Welt!“ Sie wird, falls sie sich für die Untersuchung „Thomas Mann und die Deutschen“ von Kurt Sontheimer (Fischer-Bücherei, Band 650) interessiert, über die wütenden Angriffe der bürgerlichnationalen Presse gegen die Dichter lächeln, ohne sehen zu wollen, wie sehr sich der gleiche Geist wieder breitmacht.

Es ist gut, Bücher, wie die angeführten, eben gelesen zu haben, wenn man die ausgezeichnete, seriöse Dokumentation von Wolfgang Paul „Kampf um Berlin“ aufschlägt. Das politische Geschehen, da zur Spaltung der ehemaligen Reichs-haiuptstadt geführt hat, wurde kaum jemals so übersichtlich und objektiv dargestellt. Der Autor hat eine Meinung, aber er drängt sie dem Leser nicht auf.

Doch es bedeutet keine Entschuldigung der Mauer und keine Parteinahme für Ulbrichts Diktatur, wenn man die Teilung Berlins nur als ein Stück der deutschen Tragödie betrachtet und die Spaltung Deutsch-

lands nicht ausschließlich mit den Augen der offlzellen deutschen Politik. Vielleicht ist die eingangs erwähnte literarische Konjunktur auf dem Gebiet der nationalen deutschen Selbstkritik als eine überaus gesunde Reaktion auf die offizielle Schwarzweißmalerei zu verstehen. Wo die einen es sich zu leicht machen, können es die anderen sich nicht schwer genug machen. Allzu prinzipienlose politische Praxis kann nicht oft genug an die Forderungen der politischen Moral erinnert werden.

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