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„Warum lärmten die Völker?“

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DAS VERSPIELTE REICH. Die letzten Tage Österreich-Ungarns. Von Peter F e 1 d 1. Paul- Zsolnay-Verlag, 1968. 366 Seiten 18 Illustrationen 3 Karten. S 150.—.

Dem Leser wird eine Geschichte des Jahres 1918 zugleich mit einer kompendiösen Vorgeschichte geboten. Das Buch ist nützlich zu lesen: die Ereignisse, die Zusammenhänge, die Gedankengänge der handelnden Faktoren werden meist sehr gut geschildert. Die Illustrationen sind vorzüglich. Der Autor hat sich besondere Mühe gegeben, objektiv zu schreiben; das sieht man zumal an seiner Auffassung der Hauptperson — des Kaisers. Er betont, daß Kaiser Karl die Sachlage besser, nämlich gefährlicher, sah als mancher Getreuer (von den großdeuitschen Siegfrieden zu schweigen).

Aber wir können dem gewiß inhaltsreichen, verständnisvollen Buch kritische Bemerkungen nicht ersparen. Freilich — die Schwierigkeit der Aufgabe, solch ein kompliziertes Geschehen in einen Band zu zwängen, verbietet es, mit dem Autor einzelweise darüber zu rechten, ob sich dies und jenes glücklicher a-usdrük- ken ließ. .Wohl aber sind zu seiner Personenkenntnis Anmerkungen zu machen. Es mag nicht seine Schuld sein, wenn das Register den Generaladjutanten Zdenko Lobkowicz mit dem Herrenhausmitglied (und nicht Abgeordneten, S. 291) Friedrich Lobkowicz identifiziert. Doch er spricht zweimal von der tschechischen Nationalität des Ministerpräsidenten Clam-JafUrWiCjjie aber von der folgenschweren Tatsache, daß sie dieser (aus subjektiv hochachtbaren Gründen) aufgegeben hatte. Den kaisertreuen Abgeordneten Hruban nennt er konsequent Hrubar. Endlich lesen wir S. 331, wie der Prager Nationalrat einen Kommandanten des tschechoslowakischen Militärs ernannte. „Es war dies ein Doktor Schreiner.“ Erstens stimmt das nicht ganz so, denn es wurde alsbald ein k. u. k. General zum Kommandan ten bestimmt. Zweitens hieß der Mann Scheiner. Und drittens war es — wie zu erwarten — eine damals hochwichtige, wohlbekannte Persönlichkeit — der Obmann des „Sokol“. Das handliche Buch ist also nicht als durchaus verläßliches Nachschlagwerk anzusehen.

Dennoch müssen wir wiederholen, daß die Schilderung meistens wohlgelungen ist. Hier ist auch die schwerwiegende Tatsache klargestellt, daß im Oktober 1918 die Deutsch-Österreicher als erste Nationalität eine Nationalversammlung und einen regierenden Nationalausschuß bildeten. Freilich sagten sie der Monarchie erst nach drei Wochen ab; doch mit der Bildung von Sukzessionsstaaten haben sie angefangen. Allerdings kommen auch Stellen vor, wo den Autor gewisse Schlagworte beeinflußt zu haben scheinen. Dazu gehört die wiederholte Darstellung, wie der magyarische Chauvinismus die Politik der „Magnaten“ war. Nun waren die Magnaten, die großen Herren, kaisertreu gesinnt — und wurden von den richtigen Chauvinisten, der Gentry, als „Wiener Ungarn“ verspottet. Wir bemerken auch die Beschreibung der Zustände in Dollfuß- Österreich und Horthy-Ungarn: „demonstrierten irgendwo Arbeiter, so wurden sie zusammengeschossen.“ Weder dies noch jenes Regime haben wir zu verherrlichen; aber so darf man sich das auch nicht vorstellen.

Wegen der sachlichen Wichtigkeit müssen wir auch von einer Formur lierung sprechen, wo uns Gänsefüßchen falsch angebracht scheinen. S. 352 bemerkt der Autor, in der Tschechoslowakei hätte die tschechische „Staatsnation“ genau 50 Prozent der Einwohner ausgemacht. Nun sind Gänsefüßchen zu benützen, wo ein authentisches Zitat vorliegt. Gewiß stand es dem Autor frei, zu behaupten und zu bemängeln, daß den Slowaken die Stellung der Staatsnation faktisch nicht gewährt wurde. Dann aber mußte er etwa so formulieren: Obwohl die Slowaken zur „Staatsnation“ gehörten (hier Gänsefüßchen, denn offizielle Texte rechneten sie dazu!) geschah ihnen doch dies und jenes Nicht aber durfte er so schreiben, als hätten die Tschechen sich allein diesen Titel gegeben.

Der Leser wird für die „Auswahl aus der benützten Literatur“ dankbar sein; allenfalls hätte noch’ das einschlägige neue Buch von Brügel genannt werden können. Und so wird Feldls Werk der weiteren Forschung gute Dienste tun.

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