Etwas zu viele Worte

19451960198020002020

Einige köstliche Formulierungen machen van der Heydens "Gefahrendreieck" lesenswert.

19451960198020002020

Einige köstliche Formulierungen machen van der Heydens "Gefahrendreieck" lesenswert.

Werbung
Werbung
Werbung

Trocken sind die Analysen des niederländischen Schriftstellers A. F. Th. van der Heijden, unglaublich trocken, wo doch das Land so nahe am Wasser liegt, das Schicksal und die Abgründe am Rand sich so beiläufig auftun. "Selbst wenn sie mehr Elend als Freude miteinander erleben, hängen die Menschen solange wie Kletten zusammen, bis sie sich ihres gegenseitigen Hasses absolut sicher sind": Das ist eine Kernaussage des Buches, und es scheint so, als habe der Autor seine Geschichte um diesen Satz konstruiert.

Die frühe Kindheit prägt, so ist das auch bei Albert, der seine ersten Jahre in einem kleinen Gebiet, in einem Stück Landschaft, eingekeilt zwischen Straßen und Gebüsch, verbringt, ein Stück Land in der Form eines Dreiecks. Auch als er längst dieses Dreieck verlassen hat, kann er sich nicht frei fühlen, bewegt sich in diesem dreieckigen Käfig. Es gibt aber auch andere, weibliche Zonen, die die Form eines Dreiecks aufweisen und für ihn eine Gefahr darstellen.

Doch nicht nur die Geometrie macht Albert zu schaffen, auch sein Vater ist mit daran beteiligt, der sich regelmäßig auf Sauftouren begibt und die Familie drangsaliert. Kinder sind einzig dazu da, "gutes Brot zu Scheiße zu verarbeiten, das war das einzige was sie konnten", ist der Vater der Meinung. Doch als es zu einer Scheidung kommen soll, lässt Albert "die Sache" platzen. "Das Gefahrendreieck" ist der zweite Band des vielbändigen Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" von A. F. Th. van der Heijden. Es ist die Studie eines alltäglichen Lebens in den Niederlanden, einem Ort, wo die Männer bei Philips arbeiten und auch Albert glaubt, dass dies die einzige Möglichkeit darstellt, Geld zu verdienen: "Der Name war gleichbedeutend mit dem täglichen Brot." Köstliche Seiten folgen, in denen die frühe Unternehmenskultur dargestellt und auch ironisch beleuchtet wird.

Es ist überdies auch die Zeit, da die Niederlande als Kolonialmacht ein Ende finden. Dass Soldatentraditionen in der Erziehung in keinem Land förderlich für die Jugend sind, erlebt der Leser mit, doch mit Albert soll die uniformierte Tradition ein Ende finden, wenn er auch nicht um die Pfadfinderei herumgekommen ist. Dem Militär entkommt er, dem weiblichen Gefahrendreieck nähert er sich zögernd bis überhaupt nicht.

Der Trick, mit dem er sich vom Militär gedrückt hat, indem er geschickt seine nicht alltäglichen sexuellen Probleme bei den einzelnen Psychiatern plazierte, wird Realität. "Es war ihm nicht gelungen (die Einsicht nach einem Versuch, mit einem Mädchen Sex zu haben) ... Genau wie er, noch ohne die Erfahrung des Versagens, dem Musterungsarzt und später dem Psychologen bei der Nachmusterung vorgelogen hatte (das Wort "vorlügen" bekam auf einmal eine ganz andere Bedeutung für ihn: die Lüge als Präfiguration der Wahrheit ...) Albert war infiziert von seiner eigenen Lüge."

Von dieser Infektion wird er nicht geheilt. Bleibt am Schluss nur die Frage, ob so viele Seiten für dieses Problem, das Albert belastet, wirklich notwendig waren. Wären da nicht vereinzelt eingestreut Edelsteine, könnte man dieses Buch vollkommen vergessen: "Und er bemerkte zum soundsovielten Mal, dass das, was er von seiner eigenen Geschichte interessant genug zum Erzählen fand, eigentlich zu kompliziert war, um es in einer verständlichen Form wiederzugeben. Große tragische Wendungen im Leben ließen sich mit wenigen Worten schildern; anders wurde es, wenn die Tragik sich wie Goldstaub auf das Flußbett gelegt hatte. Meist behielt er dann mutlos die Geschichte für sich und erzählte statt dessen eine zur Hälfte erfundene Anekdote, in der er eine weit simplere Rolle spielte. Lügen gingen ihm immer glatt von den Lippen."

Das Gefahrendreieck Roman von A.F.Th. von der Heijden, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2000 531 Seiten, geb., öS 364,-/e 26,45

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung