Globart - © Foto: Stift Melk, Philipp Nicolai Krummhübler (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Jeffrey Sachs: Die Zukunft liegt in unseren Händen

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Jeffrey Sachs gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen der letzten Jahrzehnte – und war federführend an der Entwicklung der SDGs, der Nachhaltigkeitsziele der UN, beteiligt. Er ist Sonderberater für UN-Generalsekretär António Guterres und als Bestseller-Autor u.a. bekannt für „The End of Poverty“ oder „The Price of Civilization“. Ein Auszug aus seiner Eröffnungsrede bei Tage der Transformation 2022.

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Jeffrey Sachs gilt als einer der einflussreichsten Ökonomen der letzten Jahrzehnte – und war federführend an der Entwicklung der SDGs, der Nachhaltigkeitsziele der UN, beteiligt. Er ist Sonderberater für UN-Generalsekretär António Guterres und als Bestseller-Autor u.a. bekannt für „The End of Poverty“ oder „The Price of Civilization“. Ein Auszug aus seiner Eröffnungsrede bei Tage der Transformation 2022.

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Die Herausforderung der Transformation hat die Menschheit schon immer begleitet. Schon immer hat es den Wandel gegeben, aber über die letzten 500 Jahre hat er sich dramatisch beschleunigt und inzwischen eine Geschwindigkeit erreicht, die weder durch unsere Institutionen noch durch unseren Verstand zu bewältigen ist.

In den ersten 200.000 Jahren der Menschheitsgeschichte änderte sich nur wenig in unserem wirtschaftlichen Lebensstil. Wir waren eine Spezies der Jäger und Sammler. Und dann, vor 10.000 Jahren, setzte ein über zwei- bis dreitausend Jahre andauernder und entscheidender Wandel ein: Die gesellschaftliche Transformation von nomadischen Jägern und Sammlern hin zu sesshaften Ackerbauern.

1930 stellte John Maynard Keynes in einem brillanten Aufsatz fest, dass sich in den grundlegenden Technologien zwischen dem Agrarzeitalter und etwa dem Jahr 1700 kaum etwas verändert hatte. Zu Beginn des 15. Jahrhunderts gab es eine sehr subtile Rate technologischer Beschleunigung. In dieser Frühphase waren wahrscheinlich drei Faktoren ausschlaggebend: der verstärkte Austausch von Waren, Technologie und Ideen zwischen Ost und West, wobei der Osten technologisch weiter fortgeschritten war; die Entdeckung der Seewege von Europa nach Amerika (1492) und Asien (1498); und Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks, welche vermutlich auf chinesische Drucktechniken zurückgeht.

Diese drei Impulse lösten eine Reihe tiefgreifender Veränderungen aus, die bis heute andauern. Der große Philosoph und Staatsmann Francis Bacon hatte Anfang des 17. Jahrhunderts eine sehr kluge und transformative Idee: Er sah voraus, dass wissenschaftliches Experimentieren ein neuer Pfad der Erkenntnis werden könnte – und wiederum den Weg zu nationalen Errungenschaften und Wohlstand eröffnen würde.

Eine entscheidende Beschleunigung des technologischen Wandels setzte Ende des 17. Jahrhunderts mit James Watts Erfindung einer verbesserten Dampfmaschine ein, die um 1776 patentiert wurde. Sie brachte den Durchbruch zum modernen Wirtschaftswachstum, die industrielle Revolution.

Dass Großbritannien zur ersten Industrienation wurde, hat zwei wesentliche Gründe: Erstens arbeitete James Watt dort, genauer gesagt in Glasgow, und zweitens verfügte Großbritannien über riesige Vorräte leicht zugänglicher Kohle. Auf der Grundlage seiner frühen Industrialisierung errichtete Großbritannien ein Weltreich, in dem die Sonne nie unterging. Dass wir Englisch als Weltverkehrssprache sprechen, verdanken wir nicht Francis Bacon oder Königin Elisabeth oder gar William Shakespeare, sondern vor allem James Watt.

Großbritannien wurde zur ersten industriellen und urbanen Gesellschaft der Geschichte und brachte die erste echte Berufsarmee und das erste Industrieimperium hervor. Watts Dampfmaschine ermöglichte den Übergang von der „organischen Wirtschaft“, in der die Energie im Maßstab der menschlichen und tierischen Arbeit aufgeboten wurde, zur neuen „fossilen Wirtschaft“ mit riesigen Vorräten an Öl, Gas und Kohle. Die Weltwirtschaft expandierte: Von 1820 bis 1900 stieg die britische Produktion um das Fünffache. Zwischen 1980 und 2020 stieg Chinas Produktion um das 34-fache.

Wir befinden uns jetzt in einer weiteren Welle tiefgreifender Transformationen – diesmal nicht durch Dampf getrieben, sondern durch Daten. Die digitale Revolution begann in den Köpfen zweier Genies: Alan Turing in den 1930er Jahren in England und John von Neumann, der große ungarische Universalgelehrte, in den 1940ern. Mit der Entdeckung des Transistors im Jahr 1947 wurde diese Revolution weiter vorangetrieben. Heute leben wir mit beispiellosen Fortschritten digitaler Berechnungen, digitaler Kommunikation und Künstlicher Intelligenz.

Im Prinzip kann diese Beschleunigung ein wunderbares Geschenk sein, aber so einfach ist es nicht. Unsere Technologien liegen in den Händen des Menschen, dessen doppelte Natur es ist, sowohl Gutes als auch Böses zu tun. Den besten Ausdruck dafür formulierte Präsident John F. Kennedy in seiner Antrittsrede am 20. Jänner 1961: „Die Welt ist jetzt eine andere. In seinen sterblichen Händen hält der Mensch nun die Fähigkeit, alle Formen der menschlichen Armut zu beenden – und alle Formen menschlichen Lebens.“

Das ist die tiefste Wahrheit unseres Daseins. Unsere Zukunft liegt in unseren Händen. Lasst uns das Ende der Armut wählen und alles tun, um Selbstzerstörung durch Krieg und Umweltkatastrophen zu verhindern.

Nähere Informationen zu "Tage der Transformation 2023" von 31.8. bis 2.9.2023 finden Sie hier.

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