Lebenslanges Lernen: Mehr als ein Slogan

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Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit auf dem Archipel vor der Westküste Afrikas konzentriert sich auf das "Megathema" Bildung.

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Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit auf dem Archipel vor der Westküste Afrikas konzentriert sich auf das "Megathema" Bildung.

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Gegen Abend wird der sonst so gelassene Fernandinho immer etwas hektisch. Wenn er den Cafezinho und die Limonade ohne ausführliches Fragen nach unserem Tagesablauf auf die Theke knallt, wissen wir schon, daß er gleich loslaufen muß. An vier Abenden pro Woche drückt der junge Kellner die Schulbank. Er will das Gymnasium nachholen. Und dann? "Ich weiß es noch nicht. Vielleicht komme ich in einen kaufmännischen Kurs rein. Das wäre toll." Fernandinho will einmal sein eigenes Cafe besitzen - "... se deus quiser" (so Gott will), fügt er hinzu.

Fernandinho lebt in Praia, der Hauptstadt von Kap Verde. So wie er besuchen hier viele Erwachsene eine Abendschule. Fortbildung wird groß geschrieben. Bei einer Arbeitslosigkeit von 26 Prozent sind die Chancen auf einen Job für jene ohne Ausbildung besonders gering. Zudem hatten viele als Kinder und Jugendliche keine Gelegenheit, einen ordentlichen Schulabschluß zu machen, weil die Familie zu arm war oder weil sie im Inneren einer der Inseln ohne nahe Schule aufgewachsen sind.

Besonders vor 1975, als Kap Verde noch portugiesische Kolonie war, wurde dem Bildungssystem und schulischer Infrastruktur wenig Bedeutung beigemessen. Im ersten Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit wurde der Ausbau des Grundschulnetzes forciert. Tatsächlich konnte die Analphabetenrate bis 1998 von 60 Prozent auf 28 Prozent gesenkt werden. Trotzdem: Häufig ist der Unterricht mangelhaft, weil Lehrer ungenügend ausgebildet sind. Eine große Hürde im Schulsystem ist Portugiesisch als Landes- und Unterrichtssprache, weil für alle Kap Verder als Muttersprache Creolo fungiert.

Ausbildungsoffensive Der nächste Reformschritt zu Beginn der neunziger Jahre setzte daher auf Verbesserung der Bildungsqualität durch Lehreraus- und fortbildung, Lehrplanentwicklung sowie auf Erwachsenen- und Berufsausbildung. Denn eines ist klar: Lesen und schreiben zu können, ist für die meisten Jobs zu wenig. Fortbildung bis weit ins Erwachsenenalter hinein ist für die Menschen in Kap Verde also schon längst Realität. Wie Fernandinho versuchen viele, irgendwie zu einer Berufsausbildung zu kommen. Es gibt noch immer viel zu wenig Angebote. Die internationale Entwicklungszusammenarbeit greift dem Staat mit diversen Programmen unter die Arme. Auch Österreich hat Bildung und Ausbildung in seiner Kooperation mit Kap Verde zu einem Schwerpunktsektor gemacht. Gefördert wird zum Beispiel von Österreich die Fortbildung von Gymnasiallehrern und von Lehrerausbildnern.

Anderes Beispiel: In der Bezirksstadt Calheta wird Alphabetisierung mit Basisberufsbildung verknüpft. Teilnehmer der zweijährigen Kurse, es sind arbeitslose Männer und Frauen, erhalten einen Grundschulabschluß und eine Fachausbildung in verschiedenen handwerklichen Sparten. Dabei wird konkret in Projekten gearbeitet, der Verkauf der hergestellten Produkte füllt einen Fonds, der später den Absolventen bei der Gründung eigener Betriebe zur Verfügung steht. Österreichs Input beschränkt sich auf die finanzielle und fachliche Unterstützung der kapverdischen Durchführungsorganisation. In vielen Bereichen gibt es im Land selbst das nötige Know-how, das aber Stärkung braucht.

Ein Beispiel intensiver Kooperation zwischen Österreich und Kap Verde lernen wir in Pedra Badejo, der Hauptstadt des Bezirks Santa Cruz auf der Insel Santiago, kennen. Dona Teresa, Direktorin von zwei Grundschulen, führt uns durch eine ihrer Schulen. Dort schwirrt und summt es wie in einem Bienenhaus. Die Klassenzimmer sind überfüllt. Von früh bis spät wird in drei Schichten unterrichtet. Dona Teresa zeigt uns die neuesten Errungenschaften: Die Schulmöbel hat eine lokale Tischlerei erneuert. Eltern und Lehrer haben die Räume ausgemalt und Reparaturen an Mauerwerk und Türen durchgeführt. Erste-Hilfe-Kästen wurden angeschafft; es gibt neue Waschräume, keine Selbstverständlichkeit in diesem Land, in dem nur ein Drittel der Schulen Toilettanlagen besitzt. Im Garten wird gerade ein Bewässerungssystem angelegt, damit das angepflanzte Gemüse ordentliche Ernten abwirft. Der Verkauf soll gemeinsam mit den im Hof in kleinen Verschlägen gehaltenen Hasen und Hühnern das Schulbudget aufbessern.

"Das ist aber nur die äußere Schale. Sie ist wichtig, damit alles gut zusammenhält. Wichtiger ist, daß wir auch auf pädagogischem Gebiet in den letzten beiden Jahren ein Stück weitergekommen sind", sagt Dona Teresa nicht ohne Stolz. Didaktisches Material wurde erarbeitet oder angeschafft und die Fortbildung für die Lehrer und Lehrerinnen intensiviert. Eine davon ist Frau Maria. Wir besuchen sie in einer fünften Klasse, wo sie gerade Geometrie unterrichtet. Alle 35 Kinder arbeiten konzentriert, tief über ihre Hefte gebeugt. Die Disziplin ist groß. Es gibt nur wenige Zirkel. Sie gehen ohne Aufhebens von Hand zu Hand. Frau Maria versteht ihr Geschäft. Sie gehört zu jener Gruppe von Lehrern, die eine volle Ausbildung genossen haben. Trotzdem nimmt sie regelmäßig an den Samstag-Kursen teil, wo sie beispielsweise über neueste didaktische Methoden informiert wird. Rund ein Viertel der Lehrpersonen hat auch hier lückenhafte pädagogische und fachliche Kenntnisse. Für diese ist Fortbildung noch essentieller.

Steirische Freunde Seit in Kap Verde im Zuge der letzten Bildungsreform die Schulpflicht von vier auf sechs Jahre angehoben wurde, ist - neben der Raumnot - der Lehrermangel besonders groß. Daß jetzt 100 Prozent der Kinder eingeschult werden, zeige durchaus das Interesse der Eltern an Schulbildung für ihre Nachkommen, sagt Frau Maria. Noch stärker aber wiegt die Tatsache, daß alle täglich ein warmes Essen erhalten - für viele Kinder die einzige ordentliche Mahlzeit am Tag.

Nicht nur Dona Teresas Schulen, alle 34 Grundschulen des Bezirks Santa Cruz erfuhren in den letzten beiden Jahren sozusagen eine Runderneuerung. Die Initiative ging von der Bezirksverwaltung, den Direktoren und Lehrern aus. Das Geld kam von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. Projektträger war der Verein Städtefreundschaft Pedra Badejo - Leibnitz.

Besucht man die kleine Stadt Pedra Badejo, eine Stunde Fahrt auf staubiger Landstraße von der Hauptstadt Praia entfernt, trifft man niemanden, der Österreich nicht kennt. Man entdeckt das Geschäft "Foto Austria", kommt vielleicht an der Tischlereikooperative "Leibnitz" vorbei und an anderen Manifestationen dieser bereits 15 Jahre dauernden Partnerschaft. Sie hat sich von Anfang an nicht im Austausch von Grußbotschaften von Politikern, in Ausflügen von Gesangsverein und Pensionistenclub erschöpft. Sie war auf Kennen- und Verstehenlernen und auf tätige Solidarität angelegt. Pedra Badejo hat davon auf vielfältige Weise profitiert. Unter anderem hat das Tischlereigewerbe einen Aufschwung erfahren, die städtische Energie- und Wasserversorgung wurde verbessert, eine Straßensanierung durchgeführt.

Wie die gesamte Entwicklungszusammenarbeit hat auch die Partnerschaft selbst in diesen Jahren einen Lernprozeß durchgemacht. Wurden zu Beginn punktuell einzelne Projekte gefördert, versucht man heute die Strukturen in einigen wenigen Sektoren zu stärken. So wurde im Schulprojekt Santa Cruz nicht direkt auf Schulebene eingegriffen. Man arbeitete mit einer pädagogischen Arbeitsgruppe auf Bezirksebene und mit der Bezirksverwaltung zusammen, um hier langfristig die Weichen auf Erneuerung und Verbesserung zu stellen. Auch die Langzeiteinsätze europäischer Expertinnen und Experten sind praktisch auf Null zurückgegangen. Zuerst wird das Know-how im Land - zum Beispiel für die Lehrerfortbildung - genützt, und nur punktuell kommt es zu Kurzeinsätzen von ausländischem Personal. In Kap Verde sind es häufig Fachleute aus Brasilien.

Relativierungen Auf der anderen Seite der Städtefreundschaft haben die Bewohnerinnen und Bewohner der steirischen Stadt Leibnitz die Chance genutzt, ihren Horizont zu erweitern und über den Tellerrand ihrer eigenen Kultur zu schauen. Christel Zach, Bezirksschulinspektorin in Leibnitz und Obfrau des Vereins Städtefreundschaft, berichtet, wie sehr die enge Zusammenarbeit mit Kap Verde fixer Bestandteil der Arbeit in vielen Schulen des Bezirks ist. Sie selbst steckt die gesamte Freizeit in die Kooperation. "Und wenn ich von Kap Verde nach Hause komme, wundere ich mich regelmäßig darüber, was wir für Probleme haben", sagt sie. "Ohne die Schwierigkeiten, die wir im Bildungsbereich haben, mißachten zu wollen, wird doch manches relativiert, angesichts der Anstrengungen vieler Menschen in Kap Verde, überhaupt zu einer Ausbildung zu kommen. Lebenslanges Lernen ist hier für viele längst Selbstverständlichkeit."

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