Lümmeln, frech sein und die Stunde stören

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Das Bildungsministerium hat kürzlich Leitlinien für Erziehungsarbeit an den Schulen herausgegeben, die auch strengere Schulordnungen ermöglichen. Brauchen die Schüler wirklich mehr Disziplin?

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Das Bildungsministerium hat kürzlich Leitlinien für Erziehungsarbeit an den Schulen herausgegeben, die auch strengere Schulordnungen ermöglichen. Brauchen die Schüler wirklich mehr Disziplin?

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In den neuen Leitlinien für Erziehungsarbeit an österreichischen Schulen wird die Anwendung bestehender Erziehungsmittel unter geänderten Rahmenbedingungen um das Gewähren von Sicherheit und Ordnung in der Schule angesprochen. Erziehungsvereinbarungen sollen beschlossen werden, Schulordnungen und Klassenordnungen sind einzuhalten, und wer gegen sie verstößt, der muss mit Konsequenzen rechnen.

Das wirft die provozierende Frage auf, ob Schule wieder mehr Disziplin braucht. Sie wird unterschiedliche oder auch gegensätzliche Antworten hervorrufen.

Die einen werden vorbehaltlos Zustimmung zur Notwendigkeit von Disziplin bekunden, die anderen werden ihre Befürchtungen artikulieren, dass Schule wieder in eine längst überwunden geglaubte Anstalt für Zucht und Disziplin zurückfalle.

Bevor man sich auf die eine oder andere Seite schlägt, sind einige grundsätzliche Bemerkungen zu machen. Es dürfte unstrittig sein, dass Schule zu lehren und zu unterrichten hat. Ein ihr angemessener Bildungsauftrag kann sich aber nicht mit dem bloßen Mitteilen von Wissenschaften und der Aufforderung, sich diese zu merken, zufrieden geben. Es sollen Einsichten vermittelt werden. Dies gelingt nur, wenn der Unterricht dialogischen Charakter hat; wenn Fragen und Einwände, Bedenken und Ergänzungen geäußert werden können, wenn man zuhören kann, wenn man den anderen ausreden lässt, insgesamt wenn Unterrichten durch das Argumentieren definiert ist.

Dazu bedarf es allerdings einer Ordnung, der Einhaltung jener Regeln, die den dialogischen Unterricht garantieren: guter Unterricht kann dann gelingen, wenn Rede und Gegenrede, Frage und Antworten, die argumentative Auseinandersetzung durch Disziplin gesichert ist. Dazu gehört als erstes die Respektierung des anderen, das Recht eines jeden auf sachliche Kritik, sein Recht auf Gehörtwerden, der Abbau von Angst und Furcht. Dazu gehört, dass man den lehrenden Dialog nicht willkürlich stört, dass man pünktlich ist, insgesamt: dass Disziplin herrscht; das gilt für Lehrer und Schüler, gilt insbesondere für die Anerkennung des Amtes und der begründeten Autorität des Lehrers.

Das alles ist kein Rückfall in die Barbarei von Zwang und die Handhabung strenger Disziplinierungsmaßnahmen, sondern notwendige Antwort auf die an manchen Schulen um sich greifende Gewalt, Rücksichtslosigkeit, auch manchmal verbunden mit der Tendenz willkürlicher Sachbeschädigung. Dieses wiederum ist wohl auch die Folge des Redens von unbeschränkter Freiheit, der Missachtung von Leistung, von den vielen Versprechungen, die jungen Menschen immer wieder gemacht werden und wurden; dass das Leben in der Fun-Gesellschaft ein lustbetonter Spaziergang sei.

Diese zum großen Teil populistische Täuschung erzeugt Frustration und Enttäuschung, die ihrerseits Aggressionen hervorrufen, vielleicht auch den Willen zur radikalen Gesellschaftsveränderung.

Die Frage nach Sanktionen für die Einhaltung von Disziplin verweist jedoch auf ein pädagogisches Problem besonderer Art: auf die Notwendigkeit von Erziehung. Diese gilt auch für die Schule; nicht nur deshalb weil Elternhäuser und Familien versagen, sondern weil das Unterrichten selbst die Frage nach der Erziehung aufwirft. Das beginnt bei der Redlichkeit im Fragen und im Behaupten von Wissen, das betrifft die Tugenden des Dialogs im Unterricht, das betrifft immer auch die Art, wie der Lernende sein Wissen erwirbt und wie er damit umgeht.

Das lässt die Frage nach der Disziplin noch einmal in einem neuen Licht erscheinen. Sie soll dann nicht die Folge von Zwang und Sanktionen sein, sondern von Unterricht und der mit ihm verbundenen Erziehung; Ausdruck einer Haltung. Das hebt allerdings nicht die Notwendigkeit auf, allenfalls Disziplin auch mittels so genannter Erziehungsmittel zu garantieren. Dass hier die Individuallage der Schüler aber auch des Lehrers zu bedenken ist, dürfte unstrittig sein.

Der Autor ist em. Professor für Pädagogik derUniversität Wien.

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