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Die Festspielausstellung des Salzburger Rupertinums zeigt nahezu alle Schaffensphasen von Jean Dubuffet (1901-1985), dem radikalen Provokateur der Malerei.

Verständlicherweise geraten die kunstbegeisterten Menschen in Unruhe, wenn die Kunst an einen so extremen Punkt geführt wird, wo Schöpferisches und Unbedeutendes derart verwirrend nah beieinanderliegen." Einer der provokantesten Widerspruchsgeister in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Jean Dubuffet (1901-1985), reflektiert hier nicht ohne Ironie seine Arbeit an Hunderten von reinen Materialabdrücken auf Stein aus den späten fünfziger Jahren. Für den damals fast Sechzigjährigen liegt der Durchbruch mit der Ausstellung 1944 bei René Drouin in Paris gerade erst 15 Jahre zurück, ein Zeitraum, in dem Dubuffet alle Konventionen der Malerei verlassend ein reifes Frühwerk geschaffen hat.

Konventionen gesprengt

Hinter ihm liegen das den Eltern abgetrotzte, nach wenigen Wochen wieder aufgegebene Studium an der Académie Julian in Paris, die Arbeit im eigenen Atelier, Zweifel am offiziellen Kunstbetrieb, sein Aufgeben, das Studium von sieben Fremdsprachen, Philosophie und Musik. Nach Militärdienst und langjähriger Tätigkeit im elterlichen Weingroßhandel in Le Havre, später in der Niederlassung in Bercy bei Paris, gelingt es ihm 1942 endgültig, sich als Künstler durchzusetzen.

Ein Leben und Werk voller Widersprüche, so scheint es. Dennoch lässt sein umfangreiches Ouevre bei allen Umbrüchen Entwicklungslinien erkennen, die die sehr differenten Werkgruppen miteinander verbinden. Auf die "Spur des Abenteuers" Jean Dubuffet sollte man sich einlassen in der Ausstellung im Rupertinum in Salzburg, wo dank der Zusammenarbeit mit den Guggenheim Museen in Bilbao und New York sowie der Fondation Dubuffet, Paris, nahezu alle Schaffensphasen Dubuffets gezeigt werden. In chronologischer Hängung ist das gesamte Haus bespielt, rund 120 Werke - Gemälde, Arbeiten auf Papier und Skulpturen - ermöglichen Einblicke in Entwicklung und Arbeitsweisen des Künstlers.

Herzstück der Ausstellung sind die frühen Arbeiten bis Ende der fünfziger Jahre, mit denen Dubuffet Faszination und Empörung gleichermaßen ausgelöst hat. In Ablehnung aller Regeln der Beaux Arts inspirierten ihn Kinderzeichnungen und die 1922 erschienene Publikation von Franz Prinzhorn über die "Bildnerei der Geisteskranken" zu außergewöhnlichen Reduktionen der Formen und ungewöhnlichen künstlerischen Mitteln, die er "Art brut" nannte. Strichmännchen, weibliche Akte jenseits des traditionellen Schönheitsideals in "Corps de dames", Formen von Graffiti, in den Lithografien "Les Murs" Menschen vor oder an Mauergefügen.

Subjektive Porträts

Dubuffet experimentiert mit unkonventionellen und langwierigen Malprozessen, mischt Sand, Steine oder Stroh in die Ölfarbe, kratzt mit Pinselstil oder dem Fingern in die dick-zähe Masse seine linearen Gestalten wie etwa die stämmige "Miss Choléra" - dunkel-grundige Gemälde, in denen die Malspuren darunter liegende Farbschichten freigeben. Zu höchster Ausdruckskraft gesteigert sind die berühmten Portraits von Künstlern und Intellektuellen. Nicht das geschönte Abbild, allein die subjektive Erfahrung des Künstlers findet ihren Ausdruck. Der Dichter "Antonin Artaud cheveaux épanouis" mit scharfen Zügen, schmalen Augen, dem verkniffenen Mund gehört zu den Höhepunkten der Retrospektive.

Das Werk der Frühzeit ist voller Überraschungen: "Landschaften" aus Schmetterlingsflügeln, aus Blättern und Blüten, aber auch Collagen aus Teilen eigener Werke, wie in "Porte au chiendent" (1957), ein Arbeitsmittel, das nicht mehr aufgeben wird. Köpfe aus Papiermaché, aus einem Stück Treibholz formt Dubuffet zu Wesen wie aus einer anderen Welt. Auf der Suche nach immer neuen Oberflächenstrukturen entstehen umfangreiche Druckserien, direkt eingesetzt bilden sie, wie in "Substance d'astre", ein Relief aus feinst zerknitterten Silberpapieren.

Großstadt in Rot, Blau, Weiß

Zu Beginn der sechziger Jahre setzt mit "Paris Circus" eine neue Schaffensphase ein. Unzählige Gesichter bevölkern dicht gedrängt die Leinwand. Rot, Blau und Weiß bestimmen das Kolorit. Großstadtatmosphäre prägt die Bildthemen wie "Restaurant Rougeot", "Galerie Lafayette", "Hotel du Cantal". Farbige Zellen tragen Schriftzüge oder kleine Figuren, hier und da tauchen unruhig konturierte Gestalten auf. Die zwölf Jahre andauernde Werkperiode "L'Hourloupe" kündigt sich hier an, in der Dubuffet fast wie in einer Obsession eine eigene Zeichensprache entwickelt aus weißen, roten, blauen Flächen, schwarzen Linien und Parallelschraffuren. In einem flächendeckenden all-over bedeckt er Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Bauten, bis hin zu einem vielteiligen Ballett auf Tafeln und Kostümen, dem "Coucou bazar", aufgeführt 1973 in New York und nun in Salzburg zu sehen.

Expressive Collagen

Diese "Phantomwelt", wie Dubufett "Hourloupe" nannte, weicht schließlich stark farbigen Bildern, in die so etwas wie Landschaft einkehrt. In "Théatres de mémoire" sind Teile unterschiedlicher Werke in Collagen zu neuen Bildaussagen zusammengeführt, in denen ein expressiver Malduktus vorherrscht, eine intensive, satte Farbigkeit glüht in den Arbeiten des über achtzigjährigen Künstlers. In "Non-lieux", den letzten Werken, schwebt ein kosmisch anmutendes graphisches Gewebe auf schwarzem Grund - aus dem sich schemenhaft die Vision eines Gesichtes formiert. "Diese Bilder sind aus der Zurückweisung der objektiven Natur des Seins entstanden. Der Begriff des Seins wird nicht mehr als unwiderlegbar aufgefasst, sondern als relativ: als nichts anderes als eine Projektion unseres Denkens, als einen gedanklichen Einfall ... Das Denken und das Sein gehören zusammen." (Dubuffet)

jean dubuffet -

Spur eines Abenteuers

museum der moderne salzburg

rupertinum

Bis 19. Oktober

tägl. 10-18

Mi 10-21 Uhr

www.museumdermoderne.at

11. 11. 2003 - 14. 4. 2004

Guggenheim Museum Bilbao

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