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Unordnung und frühes Leid

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Wenn Picasso 1912 und 1914 aus bemalten Karton und Draht, aus Kistenbrettern, „Gitarren“ und „Mandolinen“ konstruierte, so folgte er den strukturalen Gesetzen des analytischen Kubismus und schuf in dreidimensionaler Räumlichkeit suggestive Äquivalente zu seinen malerischen Untersuchungen in einer neuen räumlichen Anschauung. Gegenstand und Material sind gleichermaßen verwandelt und gehen eine neue künstlerische Einheit ein. Die „Gitarre“ aus dem Jahre 1926, aus Sackleinwand mit Bindfäden, Stoff, Ölfarbe und Nägeln deren Spitzen herausstehen, erweitert durch ihre psychologische Aggressivität das Bestreben, verachtete Materie durch das In-Beziehung-Setzen in der Aktion schöpferischen Geistes zu veredeln, ihr Bedeutung zu verleihen, sie zu verwandeln. Der berühmte „Stierkopf“, der auf dem Pariser Salon 1944 gezeigt wurde und der aus einem Fahrradsitz und -gouvemal besteht, führt diese suggestiven Metamorphosen zu einem Höhepunkt. Wesentlich ist ihnen allen, daß aus disparaten Elementen der Wirklichkeit eine neue und höhere Realität entsteht, die suggestiven Bezug besitzt. Adolf Frohners Sessellehne mit Matratzengurten, -Stoff, -federn und -füllung aber, die in seiner Ausstellung in der Sezession zu sehen ist, besitzt diese Eigenschaften nicht. Wie seine anderen Arbeiten, die nicht so rein „objets trouvės laidės“ sind, sondern auch ä la Rauschenberg und Nevelson Collagen im Sinne eines neuroman- tischen Trümmernaturalismus einbeziehen, ist sie Arrangement, leere Dekorationen mit unästhetischen Materialien. Wir stehen hier vor dem anderen Pol des „süßen Kitsches“. Die Graphiken verarbeiten deutlich lokale Einflüsse und wenden sich neuester Zeit der „Pop-Art“ zu, wobei auch deren Sinn ästhetisch nur als Arrangement mißverstanden wird. Bei den Graphitzeichnungen (Hollegha!), deren Thema oft nur zu deutlich sichtbar wird, ist klar, warum von Verwandlung und Metamorphose nicht gesprochen werden kann — auch Ansätze zur Gestaltung fehlen. Frohner, der sich einst redlich zu bemühen schien, ist dem Schlagwort der „Aktualität“ zum Opfer gefallen, einer antikünst lerischen Aktualität, die dem Augenblick erliegt der sie hervorbringt.

Die Arbeiten von Margarethe Herzele, in der Galerie auf der Stubenbastei, hingegen (bis 9. April), die Informel mit Stoffappliken verbinden, sind meist heitere, rein kunstgewerbliche Dekorationen, die dort fragwürdig werden, wo sie ins Bunte und Süße abgleiten. Neben dem Informel und der „Pop-Art“ haben Kandinsky und Miro kräftig Pate gestanden. Wenn Zeichnung und Malerei stärkeren Bezug auf die Wirklichkeit nehmen, wird mangelndes Formvermögen deutlich.

Interessanter als beide Ausstellungen wirkt die Arnulf Rainers in der Galerie Peithner-Lichtenfels, in der Zeichnungen von 1946 bis 1966, unter dem Titel „Phantastica und Hallu- zinata“ zu sehen sind. Der Zusammenhang Rainers mit der frühen „Wiener Schule“ wird hier klar, aber auch die echte Bedrängnis, aus der sie wahrscheinlich entstehen mußten. Die schwarzen Vorhänge der „Übermalungen“ kamen sichtlich aus der Notwendigkeit, sowohl den Mangel an konstruktiven wie formgebend bannenden Kräften zu überdecken, um mit einem Trauma, psychotischen Kräften, fertig zu werden. Es sind weniger künstlerische als menschliche Dokumente. Es wäre Rainer zu wünschen, daß er unter den sich lüftenden schwarzen Schleiern nun Form und Gestalt, Ordnung und Einheit findet. Auch etwas Demut und Bescheidenheit — denn die Preise sind hailuzinativ und phantastisch.

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