6593896-1952_44_11.jpg
Digital In Arbeit

Ein Schritt vorwärts?

Werbung
Werbung
Werbung

Das erste der drei vorgesehenen Orchesterkonzerte mit zeitgenössischer Musik, welche die Gesellschaft der Musikfreunde gemeinsam mit der Ravag veranstaltet, hat stattgefunden. Das Programm enthielt ausschließlich Werke, die dem Kreis der „Neuen Mu6ik angehören, die Auswahl war auch unter „pädagogischem" Gesichtspunkt geschickt getroffen und die Wiedergabe durch die Wiener,Symphoniker unter Herbert von Karajan trug zum positiven Effekt nicht unwesentlich bei.

An der Schwelle zum Territorium der neuen Musik steht Albert R o u s s e 1, im gleichen Jahr wie Hans Pfitzner geboren (1969) und nur sieben Jahre jünger als Debussy, aus dessen Sphäre er zunächst kommt. Neu ist bei Roussel vor allem die Verbindung impressionistischer Stilelemente mit dichter thematischer Arbeit und der Wille zu geschlossenen Musizierformen in Anlehnung an das Concerto grosso. Roussels

Formbegabung äußert sich auch in einem untrüglichen Gefühl für die Länge eines Satzes, wie wir es etwa auch bei Händel finden. In seinen langsamen Teilen herrscht die große Ausdrucksgeste de6 Symphonikers, der sich aber nie an Klangschwelgerei verliert, dagegen mit dynamischen Effekten aufzutrumpfen liebt. Leider fallen die letzten beiden Sätze seiner III. Symphonie in g-moll — ein Scherzo 4 la Valse und ein allzu lärmendes Allegro con spirito — etwas ab.

Für 6eine Orchestervariationen opus 26 hat sich Boris Blacher (Jahrgang 1903) ein unwahrscheinlich dürres Thema von Paganini ausgesucht, wohl nicht ganz ohne die Absicht, an ihm seinen Witz und 6eine technisch-virtuosen Kombinationskünste zu erproben und zu demonstrieren. Die ereten Variationen wirken etwas artistisch, die fesselndsten stehen am Ende der Reihe: im Charakter einer Pastorale, eine Tango-artige und die letzte 4 la Chatschaturian. Die ganze Komposition zeigt eine erfreuliche Klarheit der Handschrift und einen mit kammermusikalischer Ökonomie gestalteten Orchestersatz.

Im Mittelpunkt des Konzerts stand das an dieser Stelle bereits besprochene Concerto grosso für Kammerorchester von Bohu- slav Martinu (Jahrgang 1890), eine der besten Arbeiten des Komponisten und ein repräsentatives Werk des neuen Musikstils. Wir befinden uns hier „im Herzen der absoluten Musik . — „Hier besteht noch nicht“, so erklärt Martinu seine Vorliebe für diese Form und diesen Musizierstil, „jenes ausgesprochene Bedürfnis nach Farben- und Instrumentaleffekten, nach klanglichen oder gefühlsmäßigen Steigerungen . . . Weiniger sichtbare Gefühle und laute Klänge, dafür aber mehr dichte musikalische Formen: das ist das Concerto grosso." Erläuterungen dieser Art stehen freilich zweckmäßiger in der Programmeinführung und nicht im Post 6criptum des Musikberichtes. (Die Besucher dieses Konzerts, unter ihnen viele Jugendliche, erhielten nämlich nur einen sehr kargen Programmzettel, ohne ein Wort des Kommentars, auf dem nicht einmal die Entstehungsdaten der aufgeführten Werke vermerkt waren. Dagegen umfassen die Programmhefte der Beethoven-Konzerte unter Karajan jeweils fünf bis 6echs engbedruckte Seiten, historisch-thematische Kommentare, die man in jedem besseren Konzertführer nachle6en kann.)

Nun kommt es für die Veranstalter vor allem darauf an, die angekündigte Reihe, für die auch noch zwei Kammerkonzerte vorgesehen sind, durchzustehen und kein Wasser in den Wein zu gießen. Obwohl wir gegen eine Isolierung der neuen Musik in Sonderkonzerten sind und für die Aufnahme jeweils eines zeitgenössischen Werkes in die normalen Konzertprogramme plädieren, kann dieser Zyklus als erfreulich bezeichnet und positiv gewertet werden. Das Publikum hat durch sehr lebhaften Applaus gezeigt, daß es der gleichen Meinung ist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung