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Eine Großtat der Met

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Das zuerst durch Streikdrohung der Musiker, dann durch bühnentechnische Schwierigkeiten gefährdete Eröffnungsprogramm der Metropolitan Opera konnte — nach Verlegung dreier Aufführungstermine — in zufriedenstellender und mit dem der Erstaufführung von Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ beschiedenen Erfolg in triumphaler Weise abgewickelt werden. Die 47 Jahre nach der Wiener Uraufführung dem Werk zuteilgewordene Aufnahme war zu gleichen Teilen der Dichtung, der Musik, der Inszenierung und den Kostümen, der Regieführung, der Arbeit des Dirigenten, dem Können der Musiker, den Leistungen der Sänger und dem Einsatz des Bühnenpersonals zu danken, einer Teamarbeit, in der nicht das Bestreben herrschte, szenische Effekte gegen musikalische (oder umgekehrt) auszuspielen, sondern sie in solcher Weise aufeinander abzustimmen wie es das Bemühen der fünf hervorragenden Hauptrolleninterpreten (Christa Ludwig, Walter Berry, Leonie Rysanek, James King und Irene Dalis) blieb, einander nicht zu üfoerbietem, sondern gemeinsam das von ihnen gesuchte und erzielte Gipfelniveau zu bewahren. In vielfacher Hinsicht, vor allem, weil sie die Grundidee der Hoffmanns- thalschen Dichtung richtig erfaßten, muß den Amerikanern Robert O’Hearn und Nathaniel Merrill für die Entschalung des symbolbeladenen Geschehens und seine Veräußerung als zeitloses, in ein Pihantasie- reich gestelltes Märchenspiel Anerkennung gezollt werden. O’Hearns Szenenibilder und Kostüme waren die Verwirklichung eines Märchentraumes: bizarre Formen und meisterhaft getönte Farben im Zusammenspiel mit bühnentechnischer Verwandlungskunst machten das teils feenhaft-überirdische, teils erdhaft-irdische Panorama in von keinem sinnstörenden Ballast entstellter Eindrücklichkeit visuell so erkenntlich wie es klanglich in der Partitur zum Ausdruck kommt, die trotz reichster, üppiger Motiv- und Themenverflechtung deutlich zwischen Geister- und Menschenwelt differenziert. An Merrills Aufgabe, dem Bildhaften die dem Tondrama entsprechenden letzten Lichter aufzusetzen, war höchstens auszusetzen, daß man (in der zweiten Strophe ihres Gesanges) die Stimmen der Wächter in den Straßen nicht nur hörte, sondern drei hochgewachsene Männer hinter dem Färberhaus Aufstellung nehmen sah. Alle anderen Details fanden eine der stark vermenschlichten Wiedergabe restlos helfende Lösung, wie zum Beispiel die mit den Worten „Bei den Menschen!“ plötzlich von der Amme eingenommene erhöhte Position, mit welcher sie sich die Kaiserin ihrem Ratschluß rasch gefügig macht, den Erdenflug anzutreten. Oder: das Herausbringen der Symmetrie, die zwischen dem zweiten und vierten Bild des Mittelaktes dadurch besteht, daß dort der Kaiser im Wald vor dem Falknerpavillon die Kaiserin, und da die Kaiserin in ihrem Schlafgemach den Kaiser nur flüchtig und inneren Bangens voll erspäht. Man vollzog den Szenenwechsel bei offener Bühne, was jedoch der Wirksamkeit der Orchesterszwischenspiele keinen Abbruch tat. Das Publikum stand von Anbeginn im Bann einer Musik, an deren Melodik, Farbenpracht und Ausdruckskraft es sich berauschte, im Bann auch gesanglich veräußerter Schönheit, an der es sich kaum satt hören konnte. Ganz zwanglos war mit dieser Aufführung der Effekt eines Gesamtkunstwerkes erreicht worden, dessen geistiger Gehalt noch selten zuvor in so überzeugend aktueller Bedeutung zum Ausdruck kam. Hatte dies Strauss vorausgeahnt mit der Prophezeiung, daß „Die Frau“ — eine bahnbrechende und auf lange Sicht nicht überbietbare Großtat der Met — fünzig Jahre auf universale Wirkung warten werde müssen?

Die vorhergegangenen Neuinszenierungen von „La Gioconda“ und „La Traviata" boten farbenprächtiges Dekor und Kostüme, die (für Ponchielle) von Beni Montresor und (für Verdi) von Cecil Beaton stilgerecht entworfen worden waren. Zwischen den Regieleistungen Frau Wallmanns und Alfred Lunts bestanden wesentliche Unterschiede: die eine konzentrierte sich fast ausnahmslos auf die Bewegung von von Choristen und Statisten, die andere auf Auflockerung der opernmäßigen Steifheit und auf das Herausbringen darstellerischer Finesse in sonst nicht allzu spielbegabten Sängern. Fausto Clevas schleppende Tempi (wie die für den Szenenumbau erforderten langen Pausen) waren für die fünfstündige Aufführungsdauer der „Gioconda“ verantwortlich, deren Hauptrollen mit Renata Tebaldi, Franco Corelli, Cornell MacNeil, Cesare Siepi, Biserka Cvejic und Mignon fast durchgehend vorteilhaft besetzt waren. Das Drama der Kameliendame (mit Anna Moffo, Bruno Pre- vedi, Robert Merrill und Marcia Baldwin in den tragenden Partien) erfuhr durch Georges Prėtre eine die zarte Musik der Vorspiele ungemein schwelgerisch auskostende, in den Ensemblesätzien stark geraffte und temperamentvolle Auslegung.

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